Obermarktpassage: Haufen Landeier lässt sich vorführen von gewieftem Investor – und heult los
Obermarktpassage: Haufen Landeier lässt sich vorführen von gewieftem Investor – und heult los
Analyse
So klingen sonst nur enttäuschte Liebhaber. Von „nicht korrektem Verhalten“ ist da die Rede, von „falschen Einladungen“ und „starkem Vertrauensverlust“. Das ganze weinerliche Geseier eben, wenn sich einer von zweien plötzlich nicht mehr liebgehabt fühlt.
Nur dass der Verschmähte, der hier so jämmerlich jault, kein Mensch aus Fleisch und Blut ist – sondern die Stadt Minden mit ihrem Management und führenden Ratsvertretern.
Der bitterlich Beweinte, dem all das Gejammer gilt, ist die AIM Center GmbH aus Passau. Die hatte vor Monaten große Teile des brachen Einkaufszentrums „Obermarktpassage“ in Mindens Innenstadt erworben. Und für die Stadt und ihre Repräsentanten mag sich das angefühlt haben wie honeymoon.
Für die Stadt und ihre Vertreter mag sich das angefühlt haben wie honeymoon.
Endlich ein Investor, der Millionen in die Hand nimmt, um das Potenzial der Mindener Innenstadt zu entfalten. Im Herbst des Handels-Lebens fühlte es sich für Politik und Verwaltung offenbar nochmal an wie die ganz, ganz große, neue Liebe.
Der Prinz auf dem Pferd, der des Weges geritten kommt und das wunderschöne Dornröschen wieder zum Leben erweckt. Was Landeier sich eben so ausmalen.
Was wurde nicht alles geschwärmt, gewürdigt, gelobt! Ich erinnere mich an Gespräche mit Stadt-Repräsentanten, die dabei waren, als AIM-Chef Robert Maier und Geschäftsführer Rupert Atzberger ihre Pläne für die Obermarktpassage vorstellten.
Was für ein feiner und jovial auftretender Mensch der Herr Maier sei, wurde da betont; wie vertrauensselig sein bayerischer Akzent während des Vortrags geklungen habe.
Dazu die rosaroten Bilder einer neu erwachenden Obermarktpassage, in die nach Jahren der Einsamkeit endlich wieder Leben einzieht. Bitte – welcher verzweifelt partnersuchende Stadtverantwortliche hätte sich da nicht Hals über Kopf verliebt?
Welcher verzweifelt partnersuchende Stadtverantwortliche hätte sich da nicht Hals über Kopf verliebt?
Halb zog er sie, halb sank sie hin … Und plötzlich die Ernüchterung? Der ersehnte Liebhaber entpuppt sich nicht als zartfühlender Retter, sondern als rücksichtsloser one night stand? Alles nur ein wilder Rausch? So naiv kennt man das wirklich nur von echten Landeiern.
„Nicht korrekt (…), wie hier mit der Stadt umgegangen wird“, jault SPD-Fraktionschef Peter Kock. „Einladung (…) formal falsch“, klagt die Stadt an. Und Kämmerer Norbert Kresse grämt sich über „starken Vertrauensverlust“. (Alle Zitate: Mindener Tageblatt, 29. August 2021.)
Das ganze Gejammer – es offenbart vor allem eines: die große Inkompetenz von Verwaltung und Verordneten im Umgang mit Playern wie der AIM.
Der Katzenjammer offenbart vor allem die Inkompetenz im Umgang mit Playern wie AIM.
Denn die gescholtenen Liebhaber Maier und Atzberger sind keineswegs die liederlichen Schufte, als die sie jetzt hingestellt werden. Sie machen genau das, was bei einer maroden Immobilie wie der Obermarktpassage zwingend erforderlich ist: Sie räumen auf.
Darin gar nicht unähnlich den Geiern, die aufräumen in der Prärie, indem sie das Aas aus der Landschaft schaffen. Das mag man moralisch verwerflich oder gar anstößig finden. Mag auch sein, dass manchem diese Tätigkeit generell nicht gefällt. Aber sie ist notwendig, logisch und elementar für funktionierende Kreisläufe.
Im Lebenszyklus von Immobilien befindet sich die Obermarktpassage schon lange an einem Punkt, wo mit dem Stück Aas aufgeräumt werden muss. Maiers AIM macht genau das. Und sie macht es bislang bemerkenswert gut.
1. Unboxing
Lange Jahre war der Großteil der Obermarktpassage nicht viel mehr als drittklassige Beipack-Ware im großen Immobilienpaket eines amerikanischen Investmentfonds.
In diesem Paket führte die Obermarktpassage stets ein Schattendasein: unauffällig, ungesehen, ungeliebt. Ein Objekt unter vielen. Ramschware, die man ungefragt mit dazu bekam.
Es ist das erste Verdienst von AIM, die Obermarktpassage aus dem Paket des amerikanischen Fonds herausgelöst zu haben. Hat man das aktiv betrieben? Ist es AIM passiv zugefallen? Wir wissen es nicht.
Aber die Tatsache, dass das Objekt nicht mehr untergeht in einem riesigen Paket, sondern endlich ganz isoliert für sich betrachtet werden kann, schafft die Grundvoraussetzung für eine spezifische, individuelle Entwicklung des Objekts.
Gut gemacht, AIM. Zumal Punkt „1. Unboxing“ Voraussetzung war für Punkt 2.
2. Bereinigen
Es ist einer der Geburtsfehler der Obermarktpassage: dass sie sich im Besitz einer diffusen, inhomogenen Eigentümergemeinschaft befindet.
Da war zum einen natürlich der damalige Hauptinvestor. Aber auch: die Stadt Minden als Miteigentümer (als Besitzer der seit Jahren geschlossenen Stadthalle). Außerdem eine ganze Reihe kleinerer Eigentümer, zum Beispiel von Arztpraxen und Eigentumswohnungen – ein höchst diffuser Mix mit ebenso diffusen Einzelinteressen.
Dass derart inhomogene Eigentümerstrukturen erhebliche Risiken bergen und nicht eben kluge Entscheidungen befördern, ist jedem bekannt, der mal mit dem Immobiliengeschäft zu tun hatte. Der spätere Niedergang der Obermarktpassage, er war in diesem Geburtsfehler schon angelegt.
Und selbst, wenn es das Wort Public Private Partnership damals, in den 1980er-Jahren, noch nicht gab, ist die Obermarktpassage doch leuchtendes Mahnmal dafür, was aus derart kruden Zusammenschlüssen irgendwann werden kann: ein unüberschaubarer Kostenfaktor, bei dem am Ende die Öffentlichkeit den Kürzeren zieht – Stichwort „Multihalle“.
Es ist dem Investor AIM zu verdanken, dass dieser Geburtsfehler der Obermarktpassage jetzt korrigiert wird. Man versucht die Eigentümerschaft zu bereinigen, so viele Eigentumsanteile wie irgend möglich in eine Hand zu bringen und damit klare Eigentümerstrukturen zu schaffen. Ein längst überfälliger Schritt.
Geht der Investor dabei feinfühlend, zärtlich und liebevoll vor? Natürlich nicht. Im Gegenteil: Er geht zielgerichtet, ergebnisorientiert und planvoll vor. Wie man das von einem professionellen Investor erwarten darf, der sein Geschäft versteht.
Mittlerweile befinden sich offenbar mehr als achtzig Prozent der Eigentumsanteile im Besitz der AIM. Endlich klare Verhältnisse, endlich klare Rahmenbedingungen – statt ewigem Rumgeeier von Landeiern.
Gut gemacht, AIM. Zumal Punkt „2. Bereinigen“ Voraussetzung war für Punkt 3.
3. Baurecht
Die früheren Nutzungsmodelle der Obermarktpassage sind ebenso in die Jahre gekommen wie die Bausubstanz und die Gebäudetechnik. Es gibt erheblichen Sanierungsbedarf – nicht nur bei Kabeln, Rohren und Sicherheitsanlagen, sondern auch bei den Geschäftsmodellen.
Es ist der dritte entscheidende Punkt, den die AIM gerade erledigt: Baurecht herstellen für neue Nutzungen, sogenannte „Umnutzungen“.
Es geht darum, bauordnungsrechtliche Genehmigungen zu bekommen für neue, zeitgemäße Nutzungsmodelle, mit denen sich im 21. Jahrhundert in Innenstadtlage (hoffentlich) Geld verdienen lässt.
Dass man bei der Gelegenheit auch versucht, die Gesamtmenge an Nutzflächen auszuweiten, gleichzeitig aber die eigenen Investitionen erst mal so gering wie möglich hält: wenig überraschend, sondern vollkommen erwartbar bei einem cleveren Investor. Nur Landeier sind ernsthaft verblüfft von soviel Ausgebufftheit.
Alles richtig gemacht, AIM. Zumal Punkt „3. Baurecht herstellen“ die Voraussetzung ist für das, was der Investor womöglich wirklich vorhat …
Ob einem die drei Punkte gefallen oder nicht – wer den Tatsachen ins Auge blickt, statt sich in rosarote Landeier-Märchen zu flüchten, weiß: All das ist das Geschäftsmodell gewiefter Investoren. Nicht mehr und nicht weniger.
Mit genau den drei Punkten da oben (und einigen anderen) wird richtig Geld verdient. Es ist eine Arbeit, bei der joviales Auftreten ausdrücklich hilft. Denn es ist oft auch eine schmutzige Arbeit – und eine, für die man ein dickes Fell braucht. Aber wenn alles gut läuft, zahlt sie sich millionenfach aus.
Das Zauberwort heißt „Wertschöpfung“.
Was Maiers AIM in wenigen Monaten gelungen ist: eine nahezu unverkäufliche, geradezu toxische Immobilie umzuformen zu einem Objekt, das (sei es in Summe oder in Teilen) am Markt zu erheblichen Preisen verkäuflich werden dürfte.
Eine toxische, praktisch unverkäufliche Immobilie transformiert zu einem hochpreisig verkäuflichen Objekt.
Der Wert des Objekts, er dürfte sich schon jetzt, lange vor einer Eröffnung der Obermarktpassage, um viele Millionen erhöht haben – durch Unboxing, Bereinigen der Eigentümerschaft und Herstellen von Baurecht.
So wird Geld verdient. Nicht in irgendeinem rosaroten Märchenland, das sich eine provinzielle Politkaste ausmalt – sondern in der Realität des 21. Jahrhunderts.
Wird AIM die Obermarktpassage bis zur Eröffnung im Eigentum behalten – oder auch danach noch?
Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Es ist gar nicht wichtig. Längst hat das Objekt so viel Wertschöpfung erfahren, dass man jederzeit mit satten Gewinnen aussteigen und sich aus Minden verabschieden kann.
Die Weichen dafür sind längst gestellt – nicht zuletzt durch ehedem liebestolle, blauäugige Stadtvertreter die plötzlichen „Vertrauensverlust“ anprangern.
Die Weichen für einen Ausstieg mit Millionengewinnen und reiner Weste sind längst gestellt.
Nicht, dass einen gewieften Investor so was groß jucken würde. Aber die Vorwürfe sind die ideale Steilvorlage, um sich beizeiten aus Minden zu verabschieden – und die Schuld dafür öffentlich Verwaltung und Politik anzulasten.
Man käme nicht nur mit Millionengewinn aus der Nummer wieder raus, sondern auch mit reiner Weste.
All das hätte man in Politik und Verwaltung wissen können – nein: wissen müssen, ehe man sich mit ausgebufften Partnern an einen Tisch setzt. Offenbar hat’s in der Administration Jäcke (mal wieder) nicht gereicht dafür. Lieber lässt man sich vorführen – und heult los.
Sachverstand und Weitblick, sie scheinen auch weiterhin die „Seltenen Erden“ der Mindener Stadtentwicklung zu bleiben.
Autor Edgar Wilkening. Experte für Predictive Strategizing (vorausschauende, empathische Strategieanalyse). Sein Credo: “Wenn man weiß, wie das Gegenüber tickt, kann man das Spiel steuern – und für sich nutzen.“
Sie erreichen den Autor per Mail an:
ew@dasherzderstadt.de
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