Clever & günstig:
Zwei echte Alternativen zum monströsen Martini-Fahrstuhl

Autor Edgar Wilkening

21. Jul, 2021

Autor: Edgar Wilkening.
Entwickelt seit über dreißig Jahren strategische Konzepte für Marken, Unternehmen und Institutionen. Wurde dutzendfach mit Awards ausgezeichnet für herausragende Arbeiten.

Knapp achtzehn Meter hoch, mit einem dreißig Meter langen Schwanz, der als Brücke dienen soll: Es ist ein monströses Bauwerk, dieser Aufzug, den die Stadtverwaltung Minden an der Martinitreppe plant.

Das „Monster von Minden“, es wird die historische Stadtsilhouette für immer verändern – unter dem Vorwand der „Barrierefreiheit“.

Ein Koloss aus Stahl, Glas und Beton für Millionen von Euro – und Mindens Baubeigeordneter Lars Bursian versteigt sich bei der Vorstellung des Plans im Ausschuss für Stadtentwicklung und Bauen am 23. Juni 2021 zu der Aussage, dass dieses Projekt (Original-Zitat) „einfach das Logischste ist zum Thema Barrierefreiheit und das Einfachste“.

Der Mann könnte kaum falscher liegen. Wieder mal.

Es ist eine der vielen Unwahrheiten, die die Projekte des Baubeigeordneten begleiten. Mal behauptet er öffentlich, alles sei „völlig offen“ bei einem Innenstadtgrundstück – obwohl er von früheren Weggefährten längst einen kleinkarierten Plan hat stricken lassen, der seine Vorstellungen erfüllt.

Dann wieder lässt er in eine Sitzungsvorlage schreiben, der Stadt Minden würden keine finanziellen Auswirkungen entstehen, wenn sie entscheidet, ein Grundstück knapp 500.000 Euro unter Kaufpreis an eine profitorientierte Immobilienfirma abzugeben. Und so weiter und so weiter …

Jetzt also das Monster von Minden als „das Logischste“ und „das Einfachste“ (ausdrücklich im Superlativ!) beim Thema Barrierefreiheit.

Mag sein, dass man Stadtverordneten so einen Quatsch erzählen kann und sie daran glauben – einfach, weil sie daran glauben wollen (wenn zeitgleich zur Ausschuss-Sitzung die deutsche Nationalmannschaft im entscheidenden EM-Gruppenspiel gegen Ungarn steht und der Ausschuss-Vorsitzende schon drängelt).

Aber hier bei Das Herz der Stadt kommt man mit derart kruden Thesen nicht durch. Deshalb haben wir uns hingesetzt und Alternativen entwickelt zum monströsen Plan der Stadtverwaltung.

Zwei Vorschläge für Barrierefreiheit an der Martinitreppe, die wirklich „logisch“ und „einfach“ sind (wir verzichten hier auf den Superlativ). Und die wir hiermit offiziell in die politische Diskussion einbringen.

Aus bürgerschaftlichem Engagement: Weil wir der Überzeugung sind, dass wir als Gesellschaft es nicht zulassen dürfen, die Zukunft unserer Städte uninspirierten Betonköppen oder windigen Lügenbaronen zu überlassen.

Sie sind der gleichen Meinung wie der Autor? Sie sind ganz anderer Meinung? Oder haben Sie weiterführende Infos zum Thema? Schreiben Sie es unten in die Kommentar-Spalte. Oder senden Sie dem Autor eine E-Mail an
ew@dasherzderstadt.de

Darauf bauen wir: Unser strategisches Pflichtenheft

Barrierefreiheit

Es ist das oberste Ziel: Barrierefreiheit herstellen – insbesondere zwischen Ober- und Unterstadt.

Stadtbild bewahren

Möglichst keine irreparablen Schäden am Stadtbild verursachen und höchstens minimale Eingriffe.

0

Hohe Anpassbarkeit

Möglichst flexibel bleiben: anpassbar an den Stadtraum und an ganz unterschiedliche Bedarfe.

Low-Tech

Robuste Low-Tech-Lösungen bevorzugt vor wartungsintensiven High-Tech-Lösungen.

Kostengünstig

Mit möglichst geringen Investitions- und Wartungskosten realisierbar.

Regionale Wirtschaft

Sofern Ausgaben erforderlich sind, sollte das Geld möglichst vor Ort eingesetzt und regional investiert werden.

Ohne kluges Anforderungsprofil läuft jede lösungsorientierte Arbeit Gefahr, am eigentlichen Ziel vorbeizuschießen. Anders gesagt: Wer zum falschen Werkzeug greift, macht meist mehr kaputt als er zu lösen glaubt.

Legen Sie das obige Pflichtenheft mal an den geplanten Martini-Aufzug an. Dann kommt man sehr schnell zu einem desaströsen Ergebnis für die Planer.

BARRIEREFREIHEIT?
Ja, der Aufzug stellt Barrierefreiheit her – das war’s dann aber auch schon. Die weiteren fünf Kriterien erfüllt der Aufzug nämlich nicht.

STADTBILD?
Mit seinen Fundamenten, Aufbauten und der Brücke schafft der Aufzug Fakten aus Stahl, Glas und Beton, die sich irreversibel ins Erscheinungsbild der Stadt einbrennen. „Nondestruktiv“ geht jedenfalls anders.

ANPASSBARKEIT?
Auch Flexibilität ist nicht seine Stärke: Ein Aufzug kann eben nur rauf- und runterjodeln – mehr nicht. Und er steht festzementiert an einer Stelle. Anpassbarkeit an den Stadtraum oder an wechselnde Bedarfe? Fehlanzeige.

LOW-TECH?
Dieser Fahrstuhl wird ingenieurtechnisches High-Tech – und damit extrem störungsanfällig und wartungsintensiv. Nicht umsonst schätzt die Stadt die jährlichen Wartungskosten auf 165.000 Euro – falls die denn reichen.

INVESTITIONSKOSTEN?
Mehr als drei Millionen Euro Kosten – was im Mindener Bauamts-Jargon so viel bedeutet wie „vermutlich eher sechs Millionen“. Ein Schnäppchen wird dieser Fahrstuhl jedenfalls nicht.

REGIONALE WIRTSCHAFT?
Aufzughersteller wie Otis, Kone oder Thyssen-Krupp, die in der Lage wären ein solches Objekt zu realisieren, sind internationale Konzerne. Das Geld der Steuerzahler fließt also aus Minden ab nach Amerika oder in die Taschen von Aktionären – die heimische Wirtschaft geht weitgehend leer aus.

Concierge-Service an der Martinitreppe
Alternative 1: Persönlicher Concierge-Service

Wenn ein Mensch Hilfe braucht zwischen Oberstadt und Unterstadt: Was liegt näher, als ihm einen leibhaftigen Mensch an die Seite zu stellen?

Unsere Alternative 1: Wir richten einen persönlichen Concierge-Service ein. Ein, zwei Damen oder Herren in markanten Uniformen, die unten am Markt und oben am Martini-Kirchhof bereitstehen und jedem, der Schwierigkeiten mit der Treppe hat, helfen.

Ob anpacken beim Kinderwagen-Hochtragen, volle Einkaufstasche vom Markt runtertragen oder persönliche Stütze beim Treppensteigen: Die Concierges sind zur Stelle und haben immer eine Lösung. Und sei es, dass sie den Rollifahrer über die Opferstraße nach oben begleiten oder sogar schieben.

Einen persönlichen Schnack zum Wetter oder den neuesten Tratsch aus der Stadt gibt’s immer noch obendrauf. Freundliche Assistenten, die anpacken, wo es nötig ist. Service par excellence.

FREUNDLICHE ASSISTENTEN, DIE ANPACKEN, WO ES NÖTIG IST

Dafür braucht es keine stählernen Aufbauten, keine tonnenschweren Fundamente. Schon mit vier Festangestellten lässt sich solch ein Service in einer Rumpfversion herstellen. Investitionskosten: geschätzte 30.000 Euro für Kleidung und Schulung. Ein Witz im Vergleich zu den Millionen, die der Baubeigeordnete gerne für sein Monstrum verschleudern will.

Ein jährliches Gehalt von sagen wir mal: 40.000 Euro pro Concierge würde vier Familien in der Region ein wirtschaftliches Auskommen sichern. Und ergäbe in Summe einen Betrag von 160.000 Euro Lohnkosten per anno – also unter dem, was die Stadt allein an Wartungskosten beim Fahrstuhl schätzt.

Für Winter- und Schlechtwetterphasen sollten Unterstellmöglichkeiten für die Concierges geschaffen werden. Außerdem ein System zum Anfordern „nach oben“ oder „nach unten“ für bedarfsschwache Zeiten, in denen nur ein Concierge Dienst hat. Alles überschaubare Invests.

Hübscher Nebeneffekt: durch pure Anwesenheit der Concierges keine dunklen Urinierecken hinterm Fahrstuhl, keine Verwahrlosung an der Martintreppe. Allein die aufmerksame Präsenz der Assistenten sorgt für ein angenehmes, sicheres Gefühl in der Innenstadt.

O Minden, Du kannst so wunderschön sein, wenn Du nicht auf Deine Betonköppe hörst!

Minibus-Shuttle an der Martinitreppe
Alternative 2: Hin und her per Minibus-Shuttle

Ein Fahrstuhl kann nur rauf und runter – ein Shuttle-Bus dagegen fährt kreuz und quer durch die Stadt und hin und her.

Unsere Alternative 2 zum Aufzug: Wir schaffen einen Bus-Shuttle zwischen Markt und Martini-Kirchhof.

Mini-Busse wie der oben in der Abbildung fahren heute in vielen europäischen Städten. Es gibt sie in diversen Größen und Ausstattungen. Bewährte, ausgereifte Technologie auf Elektrobasis, für die keine monströsen Türme oder Brücken errichtet werden müssen.

Der Fahrer bzw. die Fahrerin ist bei Bedarf behilflich beim Zustieg mit Kinderwagen, Fahrrad, Rollator o.ä.

Und dann geht die Fahrt los – immer im Kreis herum: vom Markt über die Opferstraße hoch zum Martini-Kirchhof, von da weiter über die Kampstraße, Hufschmiede runter und zurück über den Scharn zum Markt.

Besonderer Clou: Während der millionenschwere Fahrstuhl des Baubeigeordneten gerade mal zwei Zustiegsmöglichkeiten hat (nämlich eine unten, eine oben), hält der Shuttle-Bus an diversen Stationen und bietet auf seiner Route zahlreiche Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten.

Mehr noch: Der Shuttle-Bus kann sogar mehrere Routen bedienen. Zum Beispiel Route A wie oben beschrieben – und Route B ab der Hufschmiede über die Bäckerstraße bis zum Wesertor und von dort über den Domhof zurück zum Markt. So geht echte Barrierefreiheit! Statt für zig Millionen einfach nur rauf und runter.

RICHTIGE BARRIEREFREIHEIT – STATT BLOSS RAUF UND RUNTER

Die Kosten für solche Mini-Busse variieren je nach Größe und Ausstattung. Legen wir 120.000 Euro pro Stück zugrunde – das ist solides Mittelmaß. Und gönnen wir uns zwei Stück davon.

Mit ein bisschen Infrastruktur für Ladestationen, Routenschilder etc. sind wir dann bei geschätzten 400.000 Euro (ohne Lohnkosten) für ein voll funktionsfähiges System, das die gesamte Innenstadt bedienen kann.

Herr im Himmel: 400.000 Euro! Das ist etwa die Summe, die der Baubeigeordnete allein den Architekten überweisen muss in den verschiedenen Leistungsstufen seiner Rauf-runter-Apparatur.

Die Minibusse verursachen jährlichen Wartungsaufwand von geschätzt 30.000 Euro. Außerdem brauchen wir drei Fahrzeugführer mit Berechtigung zur Personenbeförderung. Legen wir da 60.000 Euro pro Jahr zugrunde, kommen wir auf 180.000 Euro Lohnkosten plus 30.000 Wartungsaufwand – macht circa 210.000 Euro gesamt.

Allein für die Baukosten des Fahrstuhls von über 3 Millionen Euro liesse sich das Shuttle-System für die komplette Innenstadt also mehr als fünfzehn Jahre lang bewirtschaften.

O Minden, Du kannst so einladend und hinreißend sein, wenn Du endlich Deine Betonköppe vor die Tür setzt!

Zeit für ein Fazit

Halten wir mal fest: Der Concierge-Service ebenso wie der Minibus-Shuttle – beide Konzepte sind flexibel anpassbar. Bei steigendem Bedarf lassen sie sich leicht ausbauen: acht Concierges können mehr Personen begleiten als vier. Und vier Shuttle-Busse haben eine höhere Kapazität als zwei.

Selbst wenn man die oben geschätzten Kosten höher veranschlagt – selbst wenn man sie verdoppeln würde! –, beide Vorschläge blieben bei den Kosten weit hinter dem monströsen Fahrstuhl-Konzept.

Beide Konzepte fügen sich in den Stadtraum und vermeiden betongewordene, irreparable Schäden in der Innenstadt. Beide bieten die Chance, den tatsächlichen Bedarf an der Martinitreppe überhaupt erst einmal zu eruieren.

Denn das ist bis heute noch nicht gemacht worden: den Bedarf ermitteln. Wie viele Menschen brauchen tatsächlich Hilfe an der Martinitreppe? Wie sieht der Bedarf ganz konkret aus?

Sollte sich nach zwei, drei Jahren herausstellen, dass der Bedarf weder von Concierges noch von Shuttle-Bussen gedeckt werden kann, man könnte immer noch die Betonmischer bestellen und die Martinitreppe in Stahl und Glas versenken.

Aber was vielleicht das Entscheidende bei alledem ist: Wer den Mindener Stadtverordneten einreden will, die Aufzug-Lösung sei „das Logischste“ und „das Einfachste“ zum Thema Barrierefreiheit – der sagt ganz eindeutig etwas, das nicht wahr ist.

Verwaltungsangestellte, die mit unwahren Aussagen operieren, um Stadtpolitik unter Druck zu setzen und millionschwere Entscheidungen durchzudrücken, agieren nicht zum Wohl der Stadtgesellschaft, sondern verfolgen offenbar andere Interessen.

Betonköppe denken eben in Beton – und nicht in sinnvollen, klugen Lösungen.

Eine Stadt, die ihre Zukunft vorausschauend und klug gestalten will, ist gut beraten, sich nicht von Betonköppen vorführen zu lassen. Nicht, wenn es um Barrierefreiheit geht – und auch nicht bei anderen Projekten.

O Minden, Du hast so viel Potenzial, so viele Möglichkeiten! Wann fängst Du an, das zu nutzen – statt Dich immer wieder vorführen zu lassen …


 

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