Eines der 10 besten Innovationsprojekte in NRW: aus Minden an der Weser
Eines der 10 besten Innovationsprojekte in NRW: aus Minden an der Weser
Sie erreichen den Autor per Mail an:
ew@dasherzderstadt.de
Eine neue App, die das Carsharing revolutioniert – was wie eine Idee aus New York oder dem Silicon Valley klingt, mindestens aber aus München, Hamburg oder Berlin, ist entstanden in der tiefsten Provinz: im kleinen Städtchen Minden an der Weser.
Dort feilen Architektin Astrid Engel und ich (ihr Lebensgefährte und Autor dieser Zeilen) schon seit einiger Zeit an einem Konzept, das das Thema Carsharing vom Kopf auf die Füße stellt – und damit die gemeinschaftliche Nutzung von Autos endlich auch im ländlichen Raum ermöglichen soll.
„Autonachbarn“, so der Name der deutschsprachigen Version, basiert auf dem Grundgedanken, Eigentümergemeinschaften für einzelne Fahrzeuge zu bilden.
Gruppen von zwei, drei, vier oder mehr Menschen, die nah beieinander wohnen und nur gelegentlich ein Auto benötigen, schaffen gemeinsam ein Fahrzeug ihrer Wahl an.
Um das Bewirtschaften (Was kostet der Fahrtkilometer? Wer zahlt was? Wie werden Treibstoff, Steuern, Reparatur etc. aufgeteilt?) und das Benutzen des Fahrzeugs (Aufschließen, Abschließen, Abrechnen …) alltagstauglich und einfach zu machen, gibt es die Autonachbarn-Software.
DIGITALE TECHNIK MACHT GEMEINSAMES NUTZEN VON FAHRZEUGEN ERSTMALS ALLTAGSTAUGLICH
Über die App kann das Auto auf- und abgeschlossen werden – ganz einfach mit einem Fingerwisch. Tank- bzw. Batteriefüllstand können ebenso abgerufen werden wie eventuelle Reservierungen von anderen. Alles, was man braucht, um die eigenen Fahrten zu planen.
Und wenn man das Auto mal ganz spontan braucht, genau in diesem Moment? Ein Blick in die App und man sieht, ob das Fahrzeug bereitsteht und ob irgendwann eventuell eine Fahrt vorgemerkt ist. Wenn alles passt, steht der Spontaneität nichts im Wege. Also einsteigen und los!
Dass das Konzept so praxisnah angelegt ist, hängt auch mit meiner ganz persönlichen CarSharing-Erfahrung zusammen. Seit Ende der Nuller-Jahre kamen in Hamburg Carsharing-Angebote auf. Von Freefloatern über quartiersgebundene Konzepte bis hin zu stationsbasiert: Ich habe sie alle ausprobiert, ich habe sie alle kennengelernt, ich habe sie alle genutzt.
Viele der Carsharer von damals existieren heute schon gar nicht mehr. Und ich weiß sehr genau, warum. Dementsprechend ist mir vertraut, worauf es beim Carsharing ankommt – für Anbieter ebenso wie für die Anwender.
Deshalb funktionieren die „Autonachbarn“ vollkommen anders als klassische Carsharing-Angebote: als reine Software-Anwendung, deren Service Anwender für eine kleine Gebühr pro Monat mieten.
„Ein tolles Kompliment für unser Konzept“, sagt Astrid Engel. „Und es zeigt, dass auch in der Provinz echte Innovationen entstehen können, wenn die Macher einen Blick haben, der über die Stadtgrenzen hinausreicht.“
An die hundert Konzepte hatten sich für die Auszeichnung creative.projects beworben. Zehn der Einreichungen wurden von der Jury auf die Shortlist gesetzt als beste Innovationsprojekte NRW.
Inspirierender Austausch am Rande der Preisverleihung in Düsseldorf: Mona Neubaur (Mitte), Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie sowie stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen, im Gespräch mit den Autonachbarn-Machern Astrid Engel und Edgar Wilkening.
©Foto: Melissa Dibowsky
Ganz offizieller Regierungs-Segen, den es aus gutem Grunde gab: creative.nrw als Ausrichter des Wettbewerbs ist ein Zusammenschluss der nordrhrein-westfälischen Kreativwirtschaft im Auftrag der Landesregierung.
KREATIVWIRTSCHAFT – EIN WORT, BEI DEM MAN IN MINDEN IMMER NOCH KOPFSCHÜTTELN ERNTET
Spätestens seit Mitte der Nuller-Jahre weiß man um den Wert der creative class – um den wirtschaftlichen, aber insbesondere auch den gesellschaftlichen Wert.
Seitdem wissen kluge Städte, wie wichtig diese Melange aus Künstlern, Machern und Kreativen für die künftige Entwicklung und Attraktivität von Städten ist.
In Hamburg habe ich in den Nuller-Jahren erlebt, wie die Gründung der Hamburg Kreativ Gesellschaft durch die Stadt die Digital-, Medien-, Film-, Werbe- und Publizistik-Szene beflügelt und damit der ganzen Stadt weiteren Auftrieb gegeben hat.
Insofern nur folgerichtig, dass auch das Land NRW jetzt eine ähnliche Gesellschaft geschaffen hat mit dem Ziel, die Rahmenbedingungen für Kreative aller Gewerke zu verbessern.
Und in Minden? Erntet man vor allem Kopfschütteln und Unverständnis. 2018/2019 hatte Architektin Astrid Engel ein innovatives Konzept für die Neu-Entwicklung des Rampenloch-Areals kreiert: das Red Light Lab. Ausdrücklich als inspirierenden, lebendigen Ort für – Sie ahnen es schon: die Kreativwirtschaft.
Genau zu diesem Begriff giftete damals eine Mindenerin auf Facebook: „Kreativwirtschaft, was soll das überhaupt sein?“
Heute, ein paar Jahre später, ist die Dame sowohl im Vorstand des SPD-Stadtverbands als auch im Vorstand einer öffentlichen Kultureinrichtung tätig. Ahnungslosigkeit ist eben immer noch der beste Karriere-Turbo in Minden.
Es ist genau dieses stumpfsinnige, innovationsfeindliche Denken, das wir immer wieder erlebt haben, auf allen Ebenen, von ganz oben bis unten runter. Bei der Entwicklung des Rampenloch-Areals ebenso wie bei der Einrichtung unseres Pop-up-Ortes für Kunst und Kultur in der Obermarktstraße 19, bei dem wir am Ende sogar das Verwaltungsgericht einschalten mussten, um uns gegen Behördenwillkür zur Wehr zu setzen.
Wenn dann noch eine tumbe Lokalpresse dazukommt, die jeden klugen Gedanken sofort als „Querulantentum“ stigmatisiert, ist der Nährboden für selbstgefälligen Stillstand perfekt.
WO RUHE IMMER NOCH ERSTE BÜRGERPFLICHT IST, WIRKT DISRUPTION ALS GEFAHR
Nein, Minden habe ich nicht als innovationsfreundlichen Ort erlebt. Wo Ruhe immer noch die erste Bürgerpflicht preußischer Gehorsamkeit ist, werden disruptive Modelle und Technologien nicht als Chancen verstanden, sondern als Gefahr.
Aus dem „Autonachbarn“-Konzept als einem der besten Innovationsprojekte NRW eine funktionsfähige Anwendung zu machen und ein marktfähiges Unternehmen – all das ist anstrengend genug. Das muss man sich nicht auch noch durch ein reaktionäres Umfeld in Verwaltung und Politik zusätzlich schwermachen.
Deshalb haben wir nach der Auszeichnung in Düsseldorf eine folgenschwere Entscheidung getroffen.
Alle Beteiligten, die jetzt schon an Konzept, Technologie und Software der „Autonachbarn“ arbeiten, sind vollständig remote tätig. Für uns als rein digitales Projekt ist es gar kein Problem, die Unternehmensgründung an jedem beliebigen Ort in Deutschland zu vollziehen.
Deshalb laden wir innovationsfreundliche Kommunen, die Interesse haben an einem künftigen Gewerbesteuerzahler und digitalen Imageträger, ein zum Gespräch. Melden Sie sich, wenn Sie ein zukunftsfähiges Umfeld bieten können, das zu den „Autonachbarn“ passt.
Jeder Ort ist denkbar für uns. Warum nicht im Mindener Umland? He, Petershagen, Porta Westfalica, Bückeburg – was geht bei Euch?
Warum nicht in Düsseldorf? Dort spricht man sehr freundlich und interessiert mit uns. Das Flair ist international. Und der Weg in die Ministerien ist deutlich kürzer.
Oder warum nicht gleich nach Bayern und dort von der ganz speziellen blauweißen Art der Standortförderung profitieren?
Ob nah, ob fern, ob groß, ob klein: Grundsätzlich kommt jede Kommune für uns als Standort in Frage.
Nur ein Ort in Deutschland, der hat sich als Zuhause für die „Autonachbarn“ selbst deutlich disqualifiziert.
Es ist die Kommune, die es bis heute nicht fertiggebracht hat zu sagen: „Gratulation, dass ein Team Bürger unserer Stadt es unter die zehn besten Innovationsprojekte in NRW geschafft hat.“
Neueste Kommentare