„Öffentliche Sicherheit“ wiederhergestellt: Keine Kunst und Kultur mehr in der Obermarktstraße 19
Dieser Ort war ein Geschenk an die Menschen der Stadt und an die Künstler.
Jetzt hat die Stadtverwaltung Minden ihn geschlossen.
Dieser Ort war vielen in Politik und Verwaltung ein Dorn im Auge. Insbesondere jenen, die zwar große Apparate befehligen, damit aber nix bis gar nix auf die Reihe kriegen.
Was in der Obermarktstraße 19 zwei kleine Bürger der Stadt quasi aus dem Handgelenk und aus rein bürgerschaftlichem Engagement auf die Beine gestellt haben, muss wie die pure Provokation gewirkt haben auf alle Sesselpupser und Heißluftgebläse, die die Hoheit über unsere Stadt gerne nach Mindener Landrecht unter sich aufteilen möchten.
Insofern war es nur eine Frage der Zeit, wann die tausendköpfige Hydra der Verwaltung sich zeigen und zuschlagen würde.
Am 8. März 2022 war es soweit. Wenig überraschend. Im Briefkasten fand sich als förmliche Zustellungsurkunde eine fünfseitige „Bauordnungsverfügung mit Androhung von Zwangsgeld“, die der Architektin Astrid Engel und mir als gemeinsamen Eigentümern des Hauses Obermarktstraße 19 die Nutzung unserer Erdgeschossfläche für Kunst und Kultur per sofort untersagte.
Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000 Euro angedroht. Außerdem weitere Bußgelder und Hastenichtgesehn. Das ganz große Sesselpupser-Besteck eben.
Quelle: Schreiben von „Stadt Minden Der Bürgermeister als Untere Bauaufsichtsbehörde“ vom 4. März 2022
Als Begründung wird dann das große Verwaltungsblabla rausgeholt: „Nutzungsänderung – letzte Baugenehmigung im Jahr 1978 – Bauantrag – keine Genehmigung – brandschutztechnische Anforderungen – keine Bauvorlagen – formelle Illegalität …“ und so weiter und so fort.
Das alles gipfelt in der Schlussfolgerung, es seien „die bestehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ abzuwehren. Und zwar durch sofortige Untersagung der Nutzung als Kulturfläche.
Quelle: Schreiben von „Stadt Minden Der Bürgermeister als Untere Bauaufsichtsbehörde“ vom 4. März 2022
Musste man so entscheiden? Gab es keine andere Möglichkeit?
Doch. Und das sagt die Verfasserin des Schreibens auch: Sie habe vom Gesetz her durchaus Ermessens-Spielraum.
Und den nutzt sie dann aus – für die sofortige Untersagung der Nutzung.
Quelle: Schreiben von „Stadt Minden Der Bürgermeister als Untere Bauaufsichtsbehörde“ vom 4. März 2022
Aber natürlich wäre es kein waschechtes Schriftstück aus dem Fachbereich des Baubeigeordneten Bursian, wenn es nicht irgendwo wenigstens eine handfeste Lüge, mindestens aber grobe Falschbehauptung enthalten würde. Darauf hatten wir ja schon des öfteren aufmerksam gemacht, z.B. hier und hier und hier.
Im vorliegenden Fall ist es die Behauptung, wir hätten auf der Fläche im Dezember 2021 eine Gastronomie bzw. „gastronomieähnliche Nutzung“ betrieben. Haben die Quasi-Stasi-Spitzel vom Bauamt wirklich so schlecht hingeguckt, als wir sie am 15. Dezember 2021 in flagranti beim Ausspionieren erwischt haben?
Quelle: Schreiben von „Stadt Minden Der Bürgermeister als Untere Bauaufsichtsbehörde“ vom 4. März 2022
Das ist so dummdreist gelogen, wie man es sonst wohl nur von Putin kennt, der die Ukraine „befreit“.
Im Dezember 2021 haben wir als Eigentümer natürlich keine Gastronomie oder gastronomieähnliche Nutzung auf der Fläche betrieben. Schon allein deshalb nicht, weil die Fläche zu dieser Zeit gewerblich an einen Dritten vermietet war. Dezember ist schließlich Vorweihnachtszeit – beste Zeit im Einzelhandel. Die hat ein Unternehmen genutzt, um vom 1. bis 31. Dezember einen Popup-Store mit hochwertigen Weinen und Schaumweinen auf der Fläche zu betreiben.
Für jeden, der noch alle Fünfe beisammen hat, ergibt sich daraus, dass erstens nicht wir Eigentümer auf der Fläche irgendetwas betrieben haben, sondern der damalige Mieter: ein gewerbliches Unternehmen.
Und zweitens, dass dort ein Handelsgeschäft betrieben wurde: der Verkauf ausschließlich von ungeöffneter Originalware – also definitiv kein Ausschank oder Gastronomie – oder was sich Leute mit „goldenen Wasserhähnen“ im Rathaus sonst so ausmalen.
Der Eindruck bleibt: Hier wurde ein Vorwurf konstruiert, um engagierten Bürgern Knüppel zwischen die Beine zu werfen. So sind sie eben, die Verwaltungshengste und -stuten: keine Möglichmacher, sondern Verhinderer. Lachen sich fröhlich ins Fäustchen, wenn Minden wieder etwas ärmer wird.
Ein Eindruck, der noch gestützt wird dadurch, dass die Stadtverwaltung uns als Eigentümergemeinschaft mit Datum vom 21. Januar 2022 eine Frist zum Einreichen von Unterlagen bis zum 10. März 2022 eingeräumt hatte. Also ein Fristende sechs Tage nach dem Datum, auf das die Bauordnungsverfügung datiert ist: 4. März 2022.
Quelle: Schreiben von „Stadt Minden Der Bürgermeister als Untere Bauaufsichtsbehörde“ vom 26. Januar 2022
Bauordnungsverfügung deutlich vor Ablauf der gewährten Frist: Aus diesem Grund (redaktioneller Nachtrag am 11. März 2022: und weil wir als Eigentümergemeinschaft die geforderten Unterlagen selbstverständlich fristgerecht eingereicht haben, nämlich am 10. März 2022), halten wir die Schließung unserer Popup-Event- und Aktionsfläche für nicht rechtens und werden Widerspruch dagegen einlegen.
Es ergibt sich (wieder mal) der Eindruck von behördlicher Willkür und dreisten Falschaussagen in der Administration Jäcke.
Und natürlich liest man auch in der lokalen Presse nichts über die tatsächlichen Fristen und Zusammenhänge. Lieber formiert man sich zum regierungstreuen Schulterschluss mit dem Rathaus – und bezichtigt mich persönlich, (Zitat) zu „stänkern“ und als „Opfer“ zu stilisieren. Schon lange gilt: Besser, man glaubt der sogenannten unabhängigen Presse kein einziges Wort mehr.
Trifft uns die Schließung persönlich? Na, klar sind wir enttäuscht. Wir hatten noch so viele großartige Ausstellungen und Events in der Pipeline. So viele fantastische Künstler. Aber andererseits bedeutet die Schließung für uns als Macher auch: Wir haben endlich wieder Zeit für anderes.
Für große Medienprojekte. Für garstige Berichte über den desaströsen Zustand der Mindener Politik. Endlich kann ich mal wieder in Ausschusssitzungen gehen. Und überhaupt muss der Garten nach den Winterstürmen dringend mal durchgehäckselt werden.
Nein, schlimm ist die Schließung nicht für uns.
Schlimm ist die Schließung vor allem für die Menschen, denen der Ort geschenkt war. Und für die Künstler, die darauf hinfieberten hier ihre Werke zu zeigen. Das ist traurig. Das macht traurig.
Adieu, Du wundervolle Pop-Event- und Aktionsfläche mit den Hunderten, Tausenden von Möglichkeiten – es werden Dich viele vermissen.
Ich bin eine von den Künstlerinnen und Künstlern, die ausstellen wollten, in schönen Räumlichkeiten und völlig unkompliziert. Im Mai wäre ein Termin frei gewesen. Für mich ist die Entscheidung der Stadt Minden nicht nachvollziehbar. Hier wird Kreativität und Eigeninitiative durch unverständliche Bürokratie in einem Maße eingeschränkt, wie es der Stadt Minden nicht gut tut.