FLASHBACK Februar 2019: Der offene Brief der Architektin Astrid Engel – der dann genau so eintrat

FLASHBACK
Februar 2019: Der offene Brief der Architektin Astrid Engel – der dann genau so eintrat

FLASHBACK – das ist die neue Serie bei „Das Herz der Stadt“. Wir werfen einen beherzten Blick zurück – auf Ereignisse, Berichte, Geschehnisse. Und schauen mit etwas Abstand, was daraus geworden ist.

FLASHBACK
Februar 2019: Der offene Brief der Architektin Astrid Engel – der dann genau so eintrat

Autor Edgar Wilkening

AUTOR
Edgar Wilkening.
Hinterher ist man immer schlauer? Lässt der erfahrene Stratege nicht gelten. „Schlau ist nur, wer vorher schon erkennt, was hinterher rauskommt.“

Er liest sich wie ein Fanal, wie eine böse Vorahnung: der offene Brief der Mindener Architektin Astrid Engel vom Februar 2019.

Ein glühender Appel an Politik und Stadtgesellschaft, die historisch einmalige Chance, die sich damals am Rampenloch bot, nicht zu verspielen. Am Ende ist – leider, leider, leider – alles so gekommen, wie prophezeit …

„Stadt der vertanen Chancen? Minden arbeitet weiter daran“ lautete der provokante Titel des offenen Briefes, der am 20. Februar 2019 auf der Webseite der Architektin online ging.

Parallel verschickte Astrid Engel den Brief mit regulärer Post an alle Vorsitzenden der damaligen Fraktionen im Mindener Stadtrat. Die PDF-Version des Original-Briefs gibt’s hier zum Download (345 KB).

Eine einmalige Konstellation von Faktoren, die sich damals am Rampenloch ergeben hatte – das war es, worauf die Architektin hinweisen wollte. Eine Gelegenheit, die sich so bisweilen eben nur für eine einzige Generation öffnet. Und die muss dann klug damit umgehen.


ERSTENS
Ein Areal mit einer bedeutsamen zweihundertjährigen Geschichte: Rotlichtbetrieb auf Geheiß des preußischen Staates zur öffentlichen Gesundheitsvorsorge.

ZWEITENS
Der Rotlichtbetrieb ist wirtschaftlich am Ende, das Areal fällt in einen Dornröschenschlaf – und will wachgeküsst werden für eine neue, zukunftsgerichtete Nutzung.

DRITTENS
Die Stadt Minden erwirbt das Areal selbst – und hat damit alle Möglichkeiten, den Prozess der Neu-Entwicklung klug und zum Nutzen aller zu steuern.


Drei Fügungen, die mehr oder wenig zufällig zusammenfallen, in einem winzigen Zeitfenster. Die Gunst der Stunde. Man könnte sie nutzen.

In anderen Städten fängt man schon unter weniger günstigen Voraussetzungen an, ein ganz großes Rad zu drehen und Außergewöhnliches daraus zu schaffen.

Warum also nicht auch in Minden?

… ach, stimmt: weil wir in Minden sind.

Denn zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Briefes hatte der Haupt- und Finanzausschuss auf Geheiß des Baubeiorgeordneten Lars Bursian längst dessen Plan abgenickt, das Areal für Wohnbebauung zu verwenden.

Alternativen zu Wohnnutzung? Null! Nicht mal erwogen! Beispielsweise: eine Nutzung für die gesamte Bürgerschaft, für alle Mindener Bürger. Och nö! Oder für einen Attraktionspunkt über die Stadtgrenzen hinaus? Nix da! Oder irgend-, irgend-, irgendeine Alternative zu gesichts- und geschichtslosem Wohnen? Nein. Dem Baubeigeordneten und seiner Entourage schön auf den Leim gegangen.

„Damals habe ich gesehen, wie bequem es sich fast alle Stadtverordneten machen, ganz gleich, aus welcher Partei“, sagt Architektin Astrid Engel heute. „Seitdem weiß ich, wie wichtig es ist, dass wir unbequem sind als Bürger – und Politiker nicht durchkommen lassen mit ihrer Bequemlichkeit.“

Deshalb der deutliche Tonfall im offenen Brief. Denn direkt nach der Veröffentlichung gab es nur noch den Stadtrat, der die Situation hätte retten können. Aber in den Reaktionen, die die Architektin auf ihren Brief kassierte, zeichnete sich schon ab, was kommen würde: überwiegend Desinteresse, viel Arroganz und, ja, auch sehr viel Dummheit.

Am 28. Februar 2019 winkte deshalb auch der Stadtrat den Wohnplan durch. Historische Chance? Kein Interesse.

Heute sind all die Dinge, die in Astrid Engels Text nur böse Prophezeiungen waren, längst eingetreten. Das Areal wurde einem Bauunternehmer zur Wohnbebauung anhand gegeben. Die Kosten, die die Stadt beim Erwerb des Areals hatte, kommen nicht mal zu einem Drittel wieder rein. Eine Nutzung, die Sinn stiften würde für alle Mindener und die gesamte Stadt, oder womöglich sogar über die Stadtgrenzen hinaus – passé.

Lediglich ein einziger der damals beteiligten sechzig Stadtverordneten hat bis heute den Mumm gehabt, öffentlich einzugestehen: „Wir haben da einen Riesenfehler gemacht damals.“

Der Rest der Karawane zieht einfach weiter – zu den nächsten Chancen, die es zu vergeigen gilt auf Kosten der Bürger, auf Kosten der Stadt.

Auch deshalb ist der offene Brief vom Februar 2019 heute ein bedeutsames Zeitdokument. Weil er zeigt, wie wenig Sinn für historische Situationen Verwaltung und Politik offenbar haben. Und wie wichtig es ist, dass Bürger unbequem sind und aufpassen auf ihre Städte.

Das Herz der Stadt jedenfalls steht gern auf der Seite der Unbequemen. ♥

Der offene Brief vom 20. Februar 2019 hier zum Download

Mai 30 2023

HEUTE: 150. Jahrestag der Befreiung Mindens. Und wer feiert’s? Keiner …

Exakt heute vor 150 Jahren beschloss der Reichstag in Berlin das Gesetz, das wie ein Befreiungsschlag für die Festungsstadt Minden wirkte. Wird irgendjemand in Minden...
Mai 22 2023

Eines der 10 besten Innovationsprojekte in NRW:
aus Minden an der Weser

Das Carsharing-Konzept „Autonachbarn“ zählt zu den besten Innovationsprojekten in NRW. Ausgedacht in Minden. Aber wird es auch in Minden zuhause sein? Die...
Cheerful horse
Mrz 11 2023

Statt Strategie:
Mindens Politik lässt sich lieber einen vom Pferd erzählen

Minden lässt sich eine Stadtstrategie 2032 schreiben. Vier Jahre Arbeit und einen sechsstelligen Betrag wendet man dafür auf. Rechtfertigt das Ergebnis den Aufwand?...
Foto-Comic in Galerie mit Besucherin
Feb 24 2023

Die 3 Schattenparker vom Rat
Episode #079: Toller Service!

Toller Service, den manche Bauämter in Deutschland bieten! Da übernimmt der Bauamtsleiter schon mal selbst die Präsentation privater Immobilienprojekte. Wie kommt man...
Foto-Comic Schattenparker in Galerieausstellung
Feb 20 2023

Die 3 Schattenparker vom Rat
Episode #080: Widerstand

Nicht alles, was Politiker entscheiden, findet ungeteilte Zustimmung. Das kennen auch „Die 3 Schattenparker vom Rat“ – allerdings auf ihre ganz eigene Art...
Foto-Comic in Galerie mit Betrachter: Die TV-Serie aus Brüssel
Feb 09 2023

Die 3 Schattenparker vom Rat
Episode #077: Die TV-Serie aus Brüssel

Die TV-Serie „Parlament“ gehört zu den Highlights im deutschen Fernsehen: bissig, entlarvend und irre komisch, wie EU-Politiker in Brüssel da vorgeführt...
Foto-Comic "Die 3 Schattenparker vom Rat" in der Galerie
Feb 04 2023

Die 3 Schattenparker vom Rat
Episode #76: Der Rückzug

Was ist vorgefallen, wenn ein junger Mann frisch in den Stadtrat einsteigt – und lange vor Ablauf der Wahlperiode sein Mandat schon wieder aufgibt? „Die 3...
Nackter Berater mit Aktenkoffer
Feb 01 2023

Die Berater waren in der Stadt – und niemand rief: Der Kaiser ist ja nackt!

In manchem Rathaus ist man froh, simple Antworten zu bekommen – wenn sie nur opportun und teuer genug sind. Diesen fatalen Hang hat der dänische Märchenerzähler Hans...
Foto-Comic Schattenparker in beleuchteter Galerie mit Publikum
Jan 31 2023

Die 3 Schattenparker vom Rat
Episode #75: Innenstadt mit enorm hoher Attraktivität

Wenn man die richtigen Gutachter bestellt, kriegt man auch genau das richtige Ergebnis, das man sich wünscht. Das erleben „Die 3 Schattenparker vom Rat“ als...
Visual zum Mindener Medien-Stammtisch
Jan 16 2023

Einladung zum Mindener Medien-Stammtisch

Es gibt sie in Minden: Medienprofis, die bundesweit in der Kreativwirtschaft tätig sind. Der Medien-Stammtisch schafft Raum zum Austausch.