So groß kann ein Blödsinn gar nicht sein, dass er nicht doch den Weg ins Vorzeigeblättle des selbsternannten „Qualitäts-Journalismus“ findet.
Ich bin kein Coder und kein Hacker. Aber aus meiner jahrzehntelangen Tätigkeit in der Hamburger Digitalbranche und meiner heutigen Tätigkeit als Konzeptentwickler auch für Software-Anwendungen weiß ich doch: „Eine derart elementare Prüf-Funktion ist nicht in der Software eines der führenden Anbieter für Wahl-Software integriert? Also, mir kommt das jedenfalls komisch vor …“
Deshalb habe ich eine schriftliche Anfrage an den Support der votegroup geschickt. Mit verblüffendem Ergebnis
Noch während meine Anfrage lief, war ich gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Wählergemeinschaft „Wir für Minden“, Frank Tomaschewski, zu einer Besprechung der Causa Doppelkandidatur im Rathaus eingeladen. Dort habe ich ausdrücklich nachgefragt: „Habe ich das richtig verstanden, was im MT steht? Die Software votemanager ist nicht in der Lage, Doppelkandidaturen in Reservelisten zu identifizieren?“
Großes Nicken überall. Klare Antwort der Wahlleiterin und vom Leiter des Wahlteams im vollsten Brustton der Überzeugung: „Richtig, das geht nicht.“
Und dann wurde ich noch belehrt, dass man die Software votemanager immerhin schon seit dem Jahr 2004 im Einsatz habe, man also entsprechend Erfahrung habe im Umgang. Doll! Echte Digital-Nerds im Rathaus, super!
Am Nachmittag freundlicher Rückruf vom Support der votegroup. Das Telefonat ergab das glatte Gegenteil dessen, was man mir eben noch im Rathaus eingebläut hatte – und was im Artikel des Mindener Tageblatt stand.
Aber selbstverständlich gebe es eine solche Prüf-Funktion im votemanager, erklärte mir der Support-Mitarbeiter in seiner Auskunft
Abgebildet sei sie in der Funktion „Mehrfachkandidaturen prüfen“, die man jederzeit aufrufen kann und die dann zuverlässig – jawohl: auch auf Reservelisten! – Mehrfachkandidaturen identifiziert.
Ach ne! Echt jetzt?
Und Deutschlands führende IT-Experten im Mindener Rathaus, die eben noch diese Funktion „gemeinsam mit OWL-IT“ entwickeln wollten? Am Ende doch nur zu doof, das Programm zu bedienen? DAU nennt man das in Digitalkreisen, für „dümmster anzunehmender User“.
Seit 2004 im Einsatz …? Das war das Jahr, als die SPD in Minden das Amt des Bürgermeisters von der CDU übernahm und seitdem bis heute hält. Vielleicht war das gar kein Wahlergebnis, sondern einfach nur ein Anwender-Fehler. So blöd kann eine Gemeinde ja gar nicht sein, dass sie sich jahrelang immer wieder rote Nieten zum Häuptling wählt. Also Anwenderfehler von Dummies, die seit 2004 den votemanager falsch bedienen? „Oh, mal gucken, was passiert, wenn ich hier den Button ‚SPD-Ergebnis verdoppeln‘ drücke.“ (Scherz! Die Funktion gibt es tatsächlich noch nicht im votemanager. Weiß aber im Rathaus vermutlich keiner.)
Sollte man alle Wahlen ab 2004 in Minden nochmal unter die Lupe nehmen, wenn ausgerechnet DAUs im Rathaus das Programm bedienen?
Jedenfalls hat auch der riesengroße Schwachsinn von „Wir müssen diese Prüf-Funktion entwickeln“ zuverlässig seinen Weg ins Mindener Tageblatt gefunden. Offenbar ebenfalls ohne vorher einmal gegengecheckt worden zu sein.
Es sagt viel über die digitalen Kompetenzen eines Verlagshauses, wenn Zeitungsredaktionen brutalste Falschmeldungen zu Digitalthemen für derart schlüssig, plausibel und überzeugend halten, dass man nicht ein einziges Mal auf die Idee eines Gegen-Checks kommt.
Eine Anfrage beim Hersteller der Software? Das, was ein kleiner Blogger und Bürger dieser Stadt hier privat gemacht hat? Für die ultraschlauen „professionellen Journalisten“ und selbsternannte „Vierte Gewalt“ im Staate, die den Mächtigen angeblich auf die Finger schaut, offenbar keine Option. Recherche? Kritische Distanz zu staatlichen Institutionen? Zweite Stimme hören? Pustekuchen.
Lieber haut man die amtlichen Falschmeldungen nur so raus. „Merkt der Leser sowieso nicht.“ Immerhin muss das Blättle vollgekritzelt werden. Wer kann da schon auf Richtigkeit oder Sorgfaltspflicht achten? Und – huch! – wer um Himmelswillen konnte ahnen, dass Software so etwas heutzutage doch kann? Entschuldigung, aber „Qualitäts-Journalismus“ jedenfalls geht anders.
Meine Meinung: Wenn Leser für so einen Quatsch auch nur einen Cent ausgeben – selbst schuld
Sogar im Rathaus rudert man mittlerweile mächtig zurück. „Den Mitarbeitenden des Zentralen Steuerungsdienstes war bis vergangene Woche Donnerstag (14.08.) nicht bekannt, dass es ein Feature für die Prüfung von Mehrfachkandidaten für Reservelisten im Programm Votemanager in dieser Form gibt“, heißt es in der Antwort der Ersten Beigeordneten.
Seit 2004 im Einsatz und keiner kommt auf die Idee, einfach mal den Support des Herstellers zu kontaktieren und nachzufragen? Ja, wozu auch! Mit dem Brustton der Überzeugung und die Nase hoch in die Luft gereckt steilen Schwachsinn behaupten reicht in Minden. Ich habe das immer wieder erlebt: Nichts fürchtet man hier mehr als Expertenwissen. Ohne Ahnung lässt sich’s einfach viel unbeschwerter schwadronieren in der eigenen Provinz-Bubble.
Und jetzt noch dieser Extra-Lacher hier, ebenfalls O-Ton aus der Antwort vom Rathaus: „Die Beschreibung ist missverständlich formuliert und gab keinen klaren Hinweis.“ Bin ich hier in einem deutschen Rathaus oder in der heute-Show? „Menno, der Button war doof beschriftet!“ Wie wär’s mal mit Manual lesen? Oder soll ich dem Rathaus höchstpersönlich eine Software-Schulung geben, die sich gewaschen hat?
Na, das kann ja heiter werden am 14. September, wenn wir an die Urnen gehen: Wahlen in Minden als Satire-Show. Autsch!
Jedenfalls alles andere als ein glücklicher Auftakt für die frisch gekürte Erste Beigeordnete Daniela Giannone. Ein Bilderbuch-Start sieht wahrlich anders aus. Na, Kopf hoch! Ab jetzt kann’s (hoffentlich) nur noch besser werden.
Und bei alledem wundert sich noch irgendjemand, dass immer mehr Menschen das Vertrauen in staatliche Institutionen verlieren? Das Mindener Rathaus ist die Speerspitze derer, die Vertrauen in demokratische Prozesse ruinieren. Und das Mindener Tageblatt mit seinem Wildwest-Journalismus läuft direkt hinterher. ♥
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