STADTEXPERTISE

Viele Städte planen Gutscheinaktionen zur Belebung der Innenstädte nach Corona. Die Idee: Kunden kaufen einen Gutschein mit entsprechendem Gegenwert und bekommen von der Stadt einen zusätzlichen Bonuswert geschenkt obendrauf – zum Beispiel zwanzig Prozent. Auch der Rat der Stadt Minden hat jetzt solch eine Gutscheinaktion befürwortet und die Durchführung genehmigt.

Was sind die Chancen von Gutscheinaktionen für Städte? Was sind die Risiken? Das Herz der Stadt hat darüber mit Marketingexperte und Berater Edgar Wilkening gesprochen. Das Gespräch führte Sebastian Meier.

INTERVIEW
Die Stadt mit dem Rabattschlacht-Plus:
Kann das gutgehen?

30. Juni 2021

Das Herz der Stadt:
Minden plant, den privaten Konsum in der Innenstadt mit Gutscheinen anzukurbeln. Wer 100 Euro bezahlt, kann für 120 Euro konsumieren. Gute Aktion?

Edgar Wilkening:
Gutscheinaktionen sind ein zweischneidiges Schwert. Sie funktionieren wie Rabatte. Der Kunde wird mit einem finanziellen Vorteil zum Kauf bzw. Konsumieren verlockt. Das kann eine gefährliche Mechanik in Gang setzen.

Was meinen Sie damit?

Konsumenten haben ein sehr feines Gespür für Anbieter und für Preise. Beispiel Möbelhandel: Die Konsumenten wissen, dass der Möbelhandel alle paar Tage eine Rabattaktion fährt. „Mehrwertsteuer geschenkt“, „20 Prozent auf alles“ und so weiter.

Menschen erleben das, internalisieren es als Muster und richten ihr Konsumverhalten danach aus. Das neue Sofa, die neue Schrankwand werden also gekauft, wenn wieder so eine Aktion ist. Das machen nicht alle Kunden so, aber doch das Gros. Die Umsatzzahlen während solcher Aktionen sind da sehr deutlich.

Dann fällt so eine Gutscheinaktion in der Innenstadt doch auf fruchtbaren Boden, oder?

Die entscheidende Frage ist: Welche Botschaft bleibt hängen? Was verankert die Gutscheinaktion mittel- und langfristig in den Köpfen der Menschen? Wenn nämlich ein Muster etabliert wird, „Minden ist die Stadt mit den Gutscheinen, die Stadt mit dem Rabatt obendrauf“, dann setzt das eine verhängnisvolle Spirale in Gang.

Dann kommt man schnell in eine Situation, in der Menschen nach Minden fahren, wenn es wieder Gutscheine gibt. Das ist dann gelernt. Auch hier, wie beim Möbelhandel: Das gilt nicht für alle. Aber wenn sich so ein Muster in den Köpfen etabliert, wird es kritisch.

Sie meinen, Gutscheinaktionen sind eigentlich die Totengräber der Innenstädte?

Jedenfalls ein zweischneidiges Schwert. Kurzfristig wird das durchaus für Resonanz sorgen. Aber man muss extrem maßvoll damit umgehen, damit es keinen Schaden anrichtet. Man muss bei solchen Aktionen immer klipp und klar sagen: „Das ist einmalig; das ist aus besonderem Anlass: Corona; das wird es nicht wieder geben.“

Wenn man etwas anderes kommuniziert, wird es gefährlich. Sobald Menschen internalisieren: „Wenn ich lange genug nicht einkaufen gehe in Minden, gibt es wieder Gutscheine“, dann gerät die Innenstadt in eine Rabattschlacht, die sie nicht gewinnen kann. Deshalb bereitet es mir große Sorge, wenn ich fraktionsübergreifend höre, dass die Gutscheinaktion keine Einzelmaßnahme bleiben soll.

Was müsste geschehen, damit das nicht passiert?

Klipp und klar sagen: Diese Gutscheinaktion ist als Ereignis vollkommen singulär. Die absolute Ausnahme. Das bedarf einer klugen Kommunikationsstrategie. Ohnehin ist doch die Frage: Wie sinnvoll ist es, wenn sich Nachbarstädte mit Rabattschlachten gegenseitig die Kunden abspenstig machen? Sich Kunden zu kaufen durch Gutscheine und Rabatte ist keine nachhaltige Strategie, sondern führt nur tiefer in die Abwärtsspirale.

Klüger wäre es als Stadt, der Strategie von Premiumanbietern zu folgen: ein hochwertiges, einzigartiges Angebot zu schaffen, das so attraktiv und begehrenswert ist, dass man auf Preisnachlässe verzichten kann. Das Besondere herstellen statt das Mittelmäßige zu fördern. Das wäre ein Weg, für den kluge Politik den Rahmen schaffen müsste – statt Menschen mit Bargeld zu locken.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Sebastian Meier.

Edgar Wilkening ist vielfach ausgezeichneter Marketingexperte und Strategieberater. Er hat in den vergangenen Jahrzehnten für Dutzende nationaler und internationaler Marken und Unternehmen gewirkt.

Hinweis: Edgar Wilkening ist Gründer und Betreiber der Plattform Das Herz der Stadt.

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