Minden bleibt sich treu:
Wirtschaftsförderung
auf Kaffeekränzchen-Niveau
Autor und Berater mit mehr als dreißig Jahren Erfahrung in Strategie- und Konzept-Entwicklung
Wirtschaft bildet das Rückgrat jeder Kommune. Den Bürgern verschafft sie Lohn und Brot, dem Gemeinwesen das nötige Kleingeld, um seine Aufgaben wahrzunehmen.
Kein Wunder also, dass Städte und Gemeinden bemüht sind, ihre Wirtschaft zu fördern. Im Idealfall planvoll und klug: mit Hilfe eines ausgefeilten und umsichtigen Wirtschaftsförderungskonzepts.
Mindens Politik hat aktuell über das „Wirtschaftsförderungskonzept Stadt Minden“ mit Stand vom 26.01.2021 zu befinden.
Wer sind die Verfasser des Papiers? Aus dem Konzept selbst geht das nicht hervor. Da werden zwar „Akteure der Wirtschaftsförderung“ genannt. Aber die Verfasser geben sich im Konzept nicht zu erkennen: keine Personen, kein Amt, keine Angaben. Aus gutem Grund?
NIEMAND BEKENNT SICH ALS VERFASSER
Mindens Bürgermeister Michael Jäcke (SPD) gibt auf Seite 3 ein Geleitwort zum Besten. Deshalb darf man wohl vermuten, dass es ein offizielles Papier aus seiner Stadtverwaltung ist. (Das gesamte Konzept können Sie hier downloaden im Ratsinformationssystem der Stadt Minden.)
Um es vorwegzunehmen: Diesem Konzept geht nahezu alles ab, was ein umsichtiges, kluges Wirtschaftsförderungskonzept ausmachen würde. Wussten die Verfasser das und haben deshalb ihre Namen nicht genannt? Es fehlen:
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- eine klare Vision für die Stadt und ihre Wirtschaft für die kommenden zehn Jahre
- eine stringente strategische Entwicklungsebene, aus der sich operative Maßnahmen ergeben
- eine angemessene kritische Selbstreflexion des Bisherigen, Erreichten und Verfehlten
- eine Bereitschaft zum Blick über den eigenen Tellerrand auf regionale und überregionale Wettbewerber
- eine klare Vision für die Stadt und ihre Wirtschaft für die kommenden zehn Jahre
Es ist ein Konzept auf Kaffeekränzchen-Niveau. So, wie Lieschen Müller vom Lande sich so ein Konzept eben vorstellt. Immerhin 95 A4-Seiten stark, eng beschrieben. Also fleißig, fleißig. Keine Frage: Da war jemand stets bemüht.
Das war’s dann aber auch schon. Sobald sich der Blick nicht auf Quantität richtet, sondern auf Inhalte, ergibt sich ein erschütterndes Bild.
Da wird mit falschen Zahlen operiert; da werden Banalitäten wie interne Meetings zur Wirtschaftsförderung hochgejazzt; da wird sich ungeniert mit fremden Federn geschmückt; da werden Befragungen mit denkbar dünner Datenlage ausgewertet – es ist beschämend …
Aber der Reihe nach.
FALSCHE ZAHLEN IM KONZEPT
Gleich auf Seite 6 wartet das Konzept mit einer guten Nachricht auf. Vollmundig heißt es da:
„Die Wirtschaft der Stadt Minden ist in den vergangenen Jahren spürbar gewachsen. Seit dem Jahr 2013 sind in der Stadt 4.465 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden (+12,3%). Zum Stichtag am 31.06.2020 waren 41.252 sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer*innen in Minden beschäftigt.“
Die anonymen Konzeptverfasser betonen das wohl so deutlich, um sich selbst ein Lob für gute Wirtschaftspolitik auszusprechen und auf die eigene Schulter zu klopfen.
Und in der Tat: Jeder einzelne neue Arbeitsplatz ist ein Segen für Stadt und Gesellschaft – keine Frage!
Aber stimmen diese Zahlen überhaupt?
Die statistischen Ämter des Bundes und der Länder führen haarklein Buch über die Zahl sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze. Auf www.regionalstatistik.de sind die Daten für jedermann frei abrufbar.
Dort wird für den oben zitierten Stichtag 31.06.2020 tatsächlich die Anzahl von 41.252 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Stadt Minden ausgewiesen.
Für den gleichen Stichtag in 2013 werden 36.380 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte genannt.
Macht einen Zuwachs von exakt 4.872 Beschäftigten zwischen 2013 und 2020 – also gut 400 Beschäftigte mehr als die im Konzept genannten 4.465.
Kinners, lasst doch die Finger von Wirtschaft, wenn Zahlen eure Welt nicht sind!
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder | Recherche von „Das Herz der Stadt“
Es ist diese Art von Schludrigkeit und Wurschtegal, die sich wie ein roter Faden durch das Konzept zu ziehen scheint.
Sobald man etwas nachprüft oder auf die Probe stellt, erweisen sich die Angaben als dünn, wenig aussagekräftig oder sogar falsch.
Was soll das für eine Basis sein, um Wirtschaft zu boosten und Zukunft zu gestalten?
MINDEN AUF DEN LETZTEN PLÄTZEN
Aber ob 4.872 neue Arbeitsplätze oder nur 4.465: Sind diese Zahlen tatsächlich so, dass man sich auf die Schultern klopfen darf für seine gute Wirtschaftspolitik?
Dazu muss man die Zahlen ins Verhältnis setzen, zum Beispiel zu anderen Kommunen und Gemeinden, und den Zuwachs prozentual vergleichen: bezogen auf die Basis, von der die jeweilige Gemeinde kommt.
Sobald man das macht, bleibt in Minden nicht mehr viel zum Feiern übrig.
Machen wir also das, was die anonymen Verfasser des Konzepts nicht gemacht haben: Blicken wir mal über den eigenen Tellerrand. Und vergleichen die Zahlen aus Minden mit denen aus Nachbargemeinden.
Die statistischen Ämter des Bundes und der Länder halten alle erdenklichen Daten bereit. Wir haben für unseren Vergleich acht zufällige Gemeinden im regionalen Umfeld ausgewählt und blicken auf die Entwicklung im Zehn-Jahres-Zeitraum 30.06.2010 bis 30.06.2020.
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder | Recherche von „Das Herz der Stadt“
Was wir hier erkennen: Alle Kommunen haben zwischen 2010 und 2020 deutlich zugelegt bei den Beschäftigtenzahlen. Das ist erfreulich.
Besagt aber auch, dass offenbar von einem gesamtwirtschaftlichen Trend profitiert wurde. Der deutliche Anstieg hat also weniger mit der eigenen Wirtschaftspolitik zu tun als vielmehr damit, dass die Wirtschaft insgesamt gewachsen ist.
Umso wichtiger ist der Blick auf die Details: Wer hat aus seiner Ausgangsposition 2010 das Beste gemacht?
Und da landet Minden auf dem wenig ruhmreichen drittletzten Platz – knapp vor Rinteln und Bückeburg, die offenbar noch weniger aus ihrer Ausgangssituation machen konnten.
Spitzenreiter sind Hille, Nienburg, Petershagen – allesamt mit einem Wachstum jenseits der 20-Prozent-Marke. Chapeau, das ist stark.
Was also haben diese Kommunen besser gemacht, könnte man sich fragen? Mit welchen Strategien haben sie das erreicht? Wie kriegen sie die Strategien erfolgreich umgesetzt? Und was lässt sich daraus an Erkenntnisgewinn für die eigene Kommune ableiten?
Es ist genau diese Betrachtungsweise, die in einem klugen Wirtschaftskonzept den Weg öffnen könnte für eine nachhaltige, zukunftsgerichtete Wirtschaftspolitik: der Blick über den eigenen Tellerrand.
Dass Kommunen heute im Wettbewerb untereinander stehen, dass Städte und Gemeinden kämpfen müssen um Investoren, Arbeitsplätze, Touristen etc. – die anonymen Verfasser des Konzepts haben diesen Blick, so gut es nur geht, gemieden. Gerade so, als sei man ganz allein auf der Welt und bewege sich völlig losgelöst von allem anderen.
UNINSPIRIERT WIE EINE ERSTSEMESTER-ARBEIT
Stattdessen findet sich im Konzept eine fleißig, fleißig zusammengetragene Betrachtung des Status quo, deren Kernstück eine Befragung aus 2020 ist, an der sich 132 Mindener Unternehmen beteiligt haben.
Das sind gerade mal 4 Prozent der circa 3.300 Unternehmen in Minden. Und wohlgemerkt: natürlich nicht etwa repräsentativ ermittelt!
Eine so dünne Datenbasis über viele, viele Seiten im Konzept auszuwalzen: Welchen sinnvollen Erkenntnisgewinn darf man sich daraus wohl erwarten? Welche strategischen Maßnahmen sollen sich daraus ableiten?
So lesen sich denn auch die Handlungsfelder, die ab Seite 52 fleißig, fleißig aufgezählt werden. Da wird so ziemlich alles Bestehende genannt, was sich irgendwie unter „Wirtschaft“ subsumieren lässt: die seit Jahren in Diskussion befindlichen Wunschkinder „Multifunktionshalle“ und „Kino“; der bislang eher dubios agierende private Investor im Objekt „Obermarktpassage“; die unvermeidliche, bunte „Standortbroschüre“, die in 2. Auflage gedruckt werden soll …
Da wird der „Rail Campus OWL“ gefeiert, der ja tatsächlich großes Potenzial birgt für Stadt und Region, aber wohl eher als glückliche Fügung für Minden zu bewerten ist. Als „Geschenk“ von Deutsche Bahn und Ostwestfalens Hochschullandschaft – nicht als in Minden selbst gestaltetes Stück Technologie-Zukunft.
Da wird das Gründerzentrum „Start MI UP“ genannt, das nach sechsjähriger Planung 2019 auch schon an den Start gehen konnte – und als erstes seinen großspurigen Namen ändern musste, weil das Original-„MIT“ in den Vereinigten Staaten den ursprünglichen Namen „M.I.T.“ als dummdreiste Anmaßung empfand.
INTERNE MEETINGS ALS FÖRDERMASSNAHME
Gänzlich in den Bereich des Grotesken geht es, wenn das Konzept sogar Banalitäten zur Wirtschaftsförderung aufmotzt. Kein Witz!
Seite 59: „Jour fixe Wirtschaftsförderung“. Das ist ein internes Verwaltungs-Meeting, bei dem sich verschiedene Abteilungen treffen, abstimmen, austauschen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen – oder? Überall auf der Welt. Nur nicht in Minden.
Immerhin 17 solcher internen Meetings werden für 2018 genannt – fleißig, fleißig. 2019 waren es 19, 2020 insgesamt 18. Und der Blick in die visionäre Zukunft? Hier kommt er: Da sollen die Meetings weiter 14-täglich stattfinden. Grandioser Plan!
Wenn wenigstens genug Kekse dabei vernascht werden, dürfte sich immerhin das Back-Handwerk unterstützt fühlen. Wirtschaftsförderung im wahrsten Sinne des Wortes auf Kaffeekränzchen-Niveau.
All das kommt nicht nur gestalterisch wie eine BWL-Erstsemester-Arbeit daher – es liest sich auch durch und durch so.
So uninspiriert und so uninspirierend, so saftlos und kraftlos, dass man es förmlich mit den Händen greifen kann: Schon wieder bleibt diese Stadt weit, weit unter ihren tatsächlichen Möglichkeiten …
Zukunft wird so nicht gestaltet – Zukunft passiert.
Die gute Nachricht: Mindens Wirtschaft ist vermutlich stark genug – sie wird auch dieses lächerliche „Wirtschaftsförderungskonzept“ verkraften. ♥
Notabene: „Die drei Schattenparker vom Rat“ haben das Wirtschaftsförderungskonzept des Bürgermeisters offenbar ebenfalls gelesen. Und hätten da noch einen Vorschlag …