Baukultur.NRW in Minden
zu Gast bei Das Herz der Stadt

Autor Edgar Wilkening

von | 17. Feb., 2022

 


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Hoher Besuch am vergangenen Dienstag bei Das Herz der Stadt: Baukultur.NRW war zu Gast in Minden. Architektin Astrid Engel hatte Peter Köddermann, Geschäftsführer Programm von Baukultur.NRW, in den nordöstlichsten Zipfel Nordrhein-Westfalens eingeladen. Der nahm das Angebot gerne an. Denn aus Landesperspektive geht das ferne Weserstädtchen Minden stets ein wenig unter.

„Das liegt aber an den Städten selbst“, stellte Köddermann gleich zu Beginn klar. „Wir haben knapp 400 Städte in NRW. Da haben wir schon personell gar nicht die Kapazität, jedes Mal auf alle einzeln zuzugehen. Die Initiative muss schon aus den Städten selbst kommen.“ Insofern Kompliment an Astrid Engel, dass sie als Bürgerin die Initiative für Minden ergriffen und eine Einladung ausgesprochen hat.

Was genau macht Baukultur.NRW eigentlich? Na klar: Man kümmert sich um Baukultur. „Aber wir sind kein Branchenverband“, erläuterte Köddermann den Teilnehmern der Runde, darunter Vertreter aus Politik und Kultur. „Das gibt uns besondere Freiheiten. Allerdings sitzen wir damit auch immer zwischen allen Stühlen.“

Baukultur Nordrhein-Westfalen ist als gemeinnütziger Verein organisiert und wird vom Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert. Die Drähte ins Ministerium sind extrem kurz, betonte Köddermann. Davon können Akteure der Baukultur profitieren.

Denn zu tun gibt es genug. „Wir werden die Klimaziele nicht erreichen, wenn wir beim Bauen weitermachen wie bisher“, ist Köddermann überzeugt.

"Ich habe gelernt, dass Architektur und Bauen nicht nur mit Steinen zu tun hat, sondern mit Geschichten vom Leben, die aber erzählt werden müssen, um sie zu verstehen. Es war ein wirklich spannendes Treffen und es könnte Minden weiterhelfen. Danke für den Termin."

Markus Redeker, Stadtverordneter der CDU Minden

Heute ist die Baubranche einer der größten Müllproduzenten Deutschlands und ein größerer CO2-Verursacher als der Autoverkehr. Der Ressourcenverbrauch durch das weitverbreitete Prinzip „Abreißen und Neubauen“ ist gewaltig. Es muss anders umgegangen werden mit Bestehendem, neu und klüger gedacht werden. „Der häufig vorgeschobene Brandschutz ist oft gar nicht das kritische Thema.“

Der Umgang mit Gebäuden der Nachkriegsmoderne sei oft ein Problem. Und leider mangele es häufig an einer Wertschätzung des Ist-Zustands. Nur sehr selten werde die Bausubstanz als Chance für Zukünftiges begriffen – und ebenso selten gäbe es eine öffentliche Diskussion zum Erhalt.

Einer der Gesprächsteilnehmer merkte an, dass die „Wegwerf-Mentalität“ beim Bau ja auch im Kreis Minden verbreitet sei, und nannte das Beispiel Kampa-Halle. Die Politik hatte längst beschlossen: „Abrissbirne her, Müll wegräumen, Neues hinzementieren“ – statt innovativ und klug über andere, neue Nutzungsmöglichkeiten nachzudenken.

Die Rohstoffe und die sogenannte „graue Energie“, die im Baumaterial der Halle stecken, wären weitgehend unverwertet geblieben und unwiederbringlich verloren gegangen. Gut, dass sich Bürger seinerzeit gegen das lauthals postulierte „Game over“ gestellt und es (vorerst) abgewendet haben.

"Das Treffen war sehr informativ. Als Fazit habe ich mitgenommen, dass wir bei der Städteplanung kreativer den Erhalt vorhandener Strukturen und Gebäude prüfen und möglichst umsetzen sollten. Das über Jahrzehnte oder länger entstandene Gesicht bzw. die Geschichte der Stadt sollte erhalten und von innen heraus der Moderne angepasst werden."

Jens Langner, 1. Vorsitzender KulturLounge Minden e.V.

Der Niedergang alter Denkmuster ist auch in den Fußgängerzonen allenthalben zu erleben. „Die Ökonomisierung der Innenstädte, wie es seit den 80ern gemacht wurde, also alle Bereiche der Innenstadt einer maximalen wirtschaftlichen Nutzung zu unterwerfen, funktioniert heute immer weniger“, erklärt Köddermann.

Und weist auf die Smartphones auf dem Konferenztisch: „Wir kommunizieren heute anders, wir kaufen anders ein. Darauf sind die Innenstädte alter Denkart nicht vorbereitet.“

Köddermann plädiert für eine neue, gesunde Balance der Innenstädte zwischen Handel, Freiflächen, Sozialen Orten, Kulturräumen und mehr.

„Was kommt nach dem Einzelhandel?“, fragten die Experten von Baukultur.NRW schon 2016. Und machten daraus einen 76-seitigen Ratgeber, den man hier kostenlos downloaden kann. Er sei Stadtverordneten und Stadtplanern ans Herz gelegt – nicht nur in Minden, nicht nur in NRW.

"Ein wesentlicher Aspekt, den ich mitgenommen habe, ist der Ansatz der Nutzung bestehender Räume und Flächen und deren Geschichte bzw. Narrativ anstatt der Schaffung von gänzlich Neuem. Außerdem wie wichtig es ist, Architektur dem Bürger zu vermitteln. Der Bürger, für den sie geschaffen wird, muss sie genauso verstehen wie der Architekt, der sie schafft."

Fabian Rupek, Vorsitzender Wählervereinigung „Wir für Minden“

Aber immer wieder kommt die Rede auch auf vorbildliche, wegweisende Initiativen: Aachen zum Beispiel, wo man eine Straße für den Autoverkehr gesperrt und den Bürgern zur Nutzung zur Verfügung gestellt hat. Als Reallabor – mit weitreichenden Folgen: Mittlerweile überbieten sich die Fraktionen im Aachener Stadtrat mit innovativen Ansätzen und Vorschlägen für die neue Stadt.

„Die meisten Veränderungen in Städten finden heute unter Druck statt, aus der Not heraus, das ist nicht gut“, hat Köddermann festgestellt.

Statt frühzeitig Entwicklungen ins Auge zu fassen, Themen visionär anzugehen, Lösungen spielerisch auszuprobieren und mit ausreichend Freiheiten Entscheidungen anzugehen, wird Stadtentwicklung heute oft aus Problemsituationen heraus angepackt – wenn es eigentlich schon zu spät ist. Denkbar ungünstig, um sinnvolle und nachhaltige Entscheidungen zu finden.

"Architekten sind fachlich qualifiziert an unserer Stadtentwicklung mitzuarbeiten. Wir sollten Bürger:innen dabei unterstützen, wenn sie die Initiative ergreifen für und auch gegen die gebaute Umwelt. Auch wenn das bedeutet, die Politik unter Druck zu setzen."

Astrid Engel, Architektin und Initiatorin des Treffens

Und noch eines wird deutlich im Gespräch: Es braucht für alles Neue stets „Lokomotiven“. Starke Menschen, die mutig vorangehen, die kreativ neue Formate ausprobieren, die visionär denken und sich von Zauderern und Zögerern nicht ins Bockshorn jagen lassen.

So gesehen könnte der 5. April 2022 zum großen „Lokomotiven“-Treffen werden. Für diesen Tag plant Baukultur.NRW eine Präsenz-Veranstaltung unter dem Titel „Alt macht Neu. Praktische Umbaukultur“ in der Stadthalle Gütersloh.

Es wird ein Netzwerktreffen der Baukultur-Akteur:innen in Nordrhein-Westfalen mit einem illustren Programm. Los geht’s um 14:00 Uhr. Die Teilnahme ist kostenlos. Weitere Infos und das Anmeldeformular gibt es hier.

Das Herz der Stadt jedenfalls wird dabei sein. Wir lieben es einfach, mehr zu erfahren und mehr zu wissen. Vielleicht sieht man sich ja.

"Es war eines der inspirierendsten Gespräche, die ich je in Minden geführt habe. Dieser Termin hat gezeigt, was für großartige Dinge entstehen können, wenn Bürger:innen die Initiative ergreifen und selbst gestalten, statt auf das Wirken von Verwaltung zu warten."

Edgar Wilkening, Initiator von Das Herz der Stadt

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