Martini-Fahrstuhl im großen Vergleichs-Check: Wie gut schneidet das Konzept gegen Alternativen ab?
Autor: Edgar Wilkening.
Entwickelt seit über dreißig Jahren strategische Konzepte für Marken, Unternehmen und Institutionen. Wurde dutzendfach mit Awards ausgezeichnet für herausragende Arbeiten.
Der geplante Fahrstuhl an Mindens Martinitreppe – vor Kurzem war er noch „das Einfachste“ und „das Logischste“. Mindens Baubeigeordneter Lars Bursian bemühte ausdrücklich den doppelten Superlativ, als er den Entwurf am 23. Juni 2021 im Ausschuss für Stadtentwicklung und Bauen vorstellte.
Allerdings währte der Segen des doppelten Superlativs nicht allzu lange. Dem Herz der Stadt liegt eine E-Mail aus dem Rathaus vom 13. September 2021, 17:29 Uhr an den „Ältestenrat“ der Stadt Minden vor. Darin spricht der Baubeigeordnete Bursian plötzlich von „unqualifizierten Vorschlägen“, die es im Zusammenhang mit der Martinitreppe gebe.
Unqualifiziert? Hartes Urteil!
Welche Vorschläge er damit meint, geht aus der E-Mail nicht hervor. Aber wir wollten es genau wissen. Denn demnächst müssen sich Mindens Stadtverordnete mit dem Thema Martinitreppe befassen.
Deshalb haben wir den doppelsuperlativen Fahrstuhlentwurf einfach mal ins Verhältnis gesetzt zu zwei Vorschlägen, die wir selbst im Sommer 2021 als Alternativen vorgelegt hatten: einen Concierge-Service und einen Minibus-Shuttle, die beide ebenfalls in der Lage wären zu helfen, den Höhenunterschied zwischen Markt und Oberer Altstadt zu meistern.
Vorschlag 1 von Das Herz der Stadt
Der Concierge-Service
Wenn ein Mensch Hilfe braucht zwischen Oberstadt und Unterstadt: Was liegt näher, als ihm einen leibhaftigen Mensch an die Seite zu stellen?
Vorschlag: Wir richten einen persönlichen Concierge-Service ein. Ein, zwei Damen oder Herren in markanten Uniformen, die unten am Markt und oben am Martini-Kirchhof bereitstehen und jedem, der Schwierigkeiten mit der Treppe hat, helfen.
Einen persönlichen Schnack zum Wetter oder den neuesten Tratsch aus der Stadt gibt’s immer noch obendrauf. Freundliche Assistenten, die anpacken, wo es nötig ist. Service par excellence.
Vorschlag 2 von Das Herz der Stadt
Der Minibus-Shuttle
Wir schaffen einen Bus-Shuttle zwischen Markt und Martini-Kirchhof. Mini-Busse fahren heute in vielen europäischen Städten. Es gibt sie in diversen Größen und Ausstattungen. Bewährte, ausgereifte Technologie auf Elektrobasis.
Der Fahrer bzw. die Fahrerin ist bei Bedarf behilflich beim Zustieg. Und dann geht’s los – immer im Kreis herum: vom Markt über die Opferstraße hoch zum Martini-Kirchhof, von da weiter über Kampstraße, Hufschmiede runter und zurück über den Scharn zum Markt.
Der Bus hält an vielen Stationen und bietet zahlreiche Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten. Er kann sogar mehrere Routen bedienen: ab Hufschmiede über die Bäckerstraße bis zum Wesertor und von dort über den Domhof zurück zum Markt.
Verglichen haben wir die Vorschläge in acht verschiedenen Kategorien:
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- Investitionsvolumen Wie hoch sind die Investitionskosten?
- Höhe der Unterhaltskosten Wie hoch sind die laufenden/jährlichen Kosten?
- Regionalität Bleibt das Geld in der Region oder fließt es ab?
- Ressourcen-Verbrauch Wie hoch ist der Einsatz klimaschädlicher Ressourcen?
- Gebietsausweitung Lässt sich das System auf weitere Teile der Innenstadt anwenden?
- Schwere des Eingriffs Wie massiv wird das historische Bild der Stadt verändert?
- Möglichkeit zum Testbetrieb Wie gut lässt sich das Konzept testweise mal ausprobieren?
- Rückbaubarkeit Wie einfach ließe sich das Ganze im Zweifelsfall rückgängig machen?
Allesamt wichtige Aspekte, die natürlich auch die Stadtverordneten des Mindener Rat stets im Auge haben. Darum haben wir das Ergebnis in leicht verständlichen Infografiken aufbereitet. Und sind gespannt, welcher Vorschlag sich da im Sinne des Baubeigeordneten Bursian als „unqualifiziert“ erweist.
Auf geht’s – der Martini-Fahrstuhl im großen Vergleichs-Check!
Der Investitionsaufwand für den Martini-Fahrstuhl wurde im Sommer 2021 mit um die drei Millionen Euro beziffert. Wahrscheinlich dürfte der tatsächliche Betrag zwischenzeitlich deutlich höher liegen. Auf jeden Fall ein Multi-Millionen-Projekt. Dagegen nehmen sich der Concierge-Service und der Shuttle-Bus geradezu harmlos aus mit den dafür erforderlichen Investitionssummen (die hier grob kalkuliert wurden). Unter allen drei Vorschlägen der unqualifizierteste, weil mit weitem Abstand teuerste: die Fahrstuhl-Lösung.
Die Betriebskosten für den Fahrstuhl wurden im Sommer 2021 mit gut 160.000 Euro pro Jahr beziffert. Auch dieser Betrag dürfte zwischenzeitlich höher ausfallen. Laufende Kosten ergeben sich natürlich auch beim Concierge-Service, vor allem für Gehälter. Bei vier Concierges mit je 40.000 Euro Gehaltskosten käme man damit auf eine ähnliche Summe wie beim Fahrstuhl. Beim Shuttle-Bus schlägt das Gehalt für etwa anderthalb Stellen für Fahrer mit Personenbeförderungslizenz zu Buche (sofern man nicht auf selbstfahrende Fahrzeuge setzt, was allerdings den Investitionsaufwand erhöhen würde). Außerdem Kosten für Betriebsmittel und Wartung. Unterm Strich liegen alle drei Vorschläge etwa gleichauf. Kein deutlich herausstechender Sieger in der Kategorie „Laufende Kosten“.
Wo fließt das Geld hin, das die Stadt Minden ausgibt? Beim Fahrstuhl kann ein Teil der Bauarbeiten eventuell von regionalen Bauunternehmen ausgeführt werden. Aber die Fahrstuhltechnik und der damit verbundene Wartungsaufwand wird voraussichtlich an börsennotierte Unternehmen wie Thyssen-Krupp abfließen oder sogar an amerikanische wie Otis. Es bleibt jedenfalls nicht in der Region. Die Ausgaben beim Concierge-Service bestehen vor allem aus Gehältern. Sie blieben in der Region und würden z.B. vier Familien über Jahre ein Auskommen ermöglichen. Der Shuttle-Bus käme sicherlich von einem internationalen Hersteller, aber auch hier blieben die Fahrergehälter über die Jahre in der Region. „Unqualifiziert“ im Hinblick darauf, ob das Geld in der Region bleibt: das Fahrstuhlkonzept.
Für Städte, die sich „klimafreundlich“ nennen wollen, ein ganz entscheidender Faktor: Wie viele Ressourcen werden verbraucht? Da ergibt sich für den Fahrstuhl eine verheerende Bilanz. Die Mengen an Glas, Stahl, Beton und darin verbauter sogenannter „grauer Energie“ sind immens. Insbesondere im Vergleich zu den paar schmucken Uniformen und alle halbe Jahr mal neue Schuhsohlen, die der Concierge-Service benötigen würde. Auch ein Shuttle-Bus besteht aus Stahl und mehr. Allerdings sind die verbauten Mengen in einem Minibus ein Witz im Vergleich zu einem siebzehn Meter hohen Fahrstuhl-Turm mit weiteren dreißig Meter Brücke. Unqualifiziertester Vorschlag in der Kategorie „Ressourcen-Verbrauch“: erneut mit Abstand das Fahrstuhl-Projekt.
Ein Fahrstuhl kann nur rauf und runter – mehr nicht, das dicke, dumme Ding. Sein Wirkungsradius ist exakt auf die Position beschränkt, an der er steht. Erweiterbarkeit auf andere Bereiche der Innenstadt? Fehlanzeige. Wie anders der Concierge-Service. Der ist nicht zwingend an die Martinitreppe gebunden, sondern könnte auch an der Opferstraße zum Einsatz kommen, oder an der Hufschmiede. Und mehr noch der Shuttle-Bus: Er könnte verschiedene Routen bedienen – nicht nur zwischen Markt und Oberstadt, sondern auch bis zum Wesertor und wieder zurück. Maximale Erweiterbarkeit in der gesamten Innenstadt. Und der Fahrstuhl schneidet schon wieder als „unqualifiziert“ ab.
Wie gravierend ist der Eingriff ins Stadtbild? Der Fahrstuhl wird von der Martinitreppe aus die Sicht auf das historische Rathaus verbauen – und die Blickachse zur Martinitreppe vom Markt aus massiv beeinträchtigen. Wie wohltuend dagegen die Concierges. Sie tragen dezente, schmucke Uniformen und fügen sich damit in das historische Stadtbild ein. Der Minibus ist natürlich sichtbar, aber da er meist unterwegs ist, beeinträchtigt er das Stadtbild niemals dauerhaft und nicht massiv. Grandios unqualifiziert in dieser Kategorie: nochmal der Fahrstuhl.
Wie schnell und unkompliziert lässt sich testen, ob eine Lösung funktioniert oder nicht – ohne sich gleich alles zu verbauen? Schließlich gibt es für die Gesamtplanung keinerlei valide Daten. Niemand weiß, ob es einen echten Bedarf gibt – oder nicht. Deshalb wäre Ausprobieren und Testen ein kluges Gebot der Stunde – um anschließend aufgrund von Erfahrungswerten zu entscheiden, wie man verfahren will. Den Concierge-Service könnte man jederzeit ohne Probleme ein paar Wochen oder Wochenenden lang testen mit ein paar Leuten – ohne sich etwas kaputt zu machen. Einen Minibus könnte man ein halbes Jahr anmieten und ausprobieren. Nur der Fahrstuhl – den müsste man erst in Beton gießen und aufbauen mit allem Drum und Dran, um ihn auszuprobieren. Für eine Testphase: vollkommen unqualifiziert.
Und was, wenn sich eines Tages rausstellen sollte, dass die gewählte Lösung nicht mehr gebraucht wird? Sei es, weil der Bedarf doch nicht da ist oder sich die Dinge geändert haben? Wie aufwändig wäre es dann, alles wieder ungeschehen zu machen? Die Uniformen der Concierges werden einfach in den Schrank gehängt und fertig. Der Minibus kann anders genutzt oder weiter verkauft werden. Alles ganz einfach. Nur der Fahrstuhl wird Millionen und Abermillionen verschlingen, um ihn irgendwie wieder aus dem Stadtbild zu entfernen. In punkto Rückbau-Möglichkeit also nochmal: unqualifiziert.
Klares Ergebnis im großen Vergleichs-Check
Jawohl, der Baubeigeordnete Bursian hat in seiner oben genannten E-Mail vollkommen recht: Es gibt tatsächlich Vorschläge, die unqualifiziert sind.
Allerdings ist der unqualifizierteste Vorschlag? Ausgerechnet der, den der Baubeigeordnete selbst präferiert. Und den er den Stadtverordneten im Sommer 2021 noch als „das Einfachste“ und „das Logischste“ unterjubeln wollte.
In Wahrheit ist der Fahrstuhl die mit Abstand teuerste, unflexibelste und klimaschädlichste Lösung, die sich an der Martinitreppe denken lässt.
In keiner einzigen Kategorie hat der Fahrstuhl die Nase deutlich vorn. Oder wenigstens knapp, ganz knapp vorn! Nicht mal das.
Auch nicht, wenn der Einwand kommt, der Fahrstuhl würde immerhin rund um die Uhr laufen, sozusagen 24/7. Genau das ist nämlich nicht vorgesehen. Abends wird er geschlossen, morgens geöffnet. Dafür ist extra ein „Schließservice“ im Kostenbudget eingeplant.
Die Stadtverordneten der Stadt Minden sind gut beraten, all das im Blick zu haben und alle Alternativen gründlich unter die Lupe zu nehmen, wenn sie demnächst über die beste Lösung für die Martinitreppe befinden. Sie dürfen dann gerne unter Beweis stellen, wie klug sie entscheiden. Das Herz der Stadt wird ihnen dabei jedenfalls sehr genau zuschauen. ♥
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