Die Würfel sind gefallen am Rampenloch: Sitzung des „Ausschuss für Stadtentwicklung, Bauen und Verkehr“ der Stadt Minden am 20. Januar 2021
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Edgar Wilkening. Nimmt als Gast regelmäßig an Sitzungen von Stadtrat und Ausschüssen teil. Geht anschließend ebenso regelmäßig kopfschüttelnd heim.
Es sind Szenen wie diese, die vielleicht am besten beschreiben, was in der Sitzung des „Ausschuss für Stadtentwicklung, Bauen und Verkehr“ der Stadt Minden stattfindet.
Kurz vor 16:00 Uhr am 20. Januar 2021. Außer mir ist kaum jemand im Sitzungssaal. Noch viel zu früh.
Da hetzen zwei Ausschussmitglieder in den Raum, schauen hastig hin und her, suchen in höchster Eile ihre Plätze. Doch die sind zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vorbereitet.
Die Mitarbeiterin der Verwaltung, die die Sitzung organisiert, ist selbst erst wenige Minuten vorher eingetroffen und noch mit dem Aufbau beschäftigt.
„Aber 16:00 Uhr geht’s doch los!“, sagt einer der zwei Eiligen.
„Nein, 16:30“, antwortet die Verwaltungsangestellte.
„16:30 Uhr?“ Der eilige Mann ist verblüfft. „Das ist aber neu, oder?“
„Nein“, antwortet die Verwaltungsfrau freundlich. „Das war schon immer 16:30.“ Die beiden Männer sind baff.
Eine Lappalie eigentlich. Aber eine, die viel darüber sagt, wie gut sich Ausschussmitglieder auf wichtige Sitzungen wie diese vorbereiten. Wie intensiv sie sich im Vorfeld mit den Unterlagen beschäftigt haben. Wie tief sie in die oft Hunderte Seiten starken Dokumente eingestiegen sind. Offenbar nämlich gar nicht.
Und so wird diese Momentaufnahme zum Sinnbild der fachlichen Auseinandersetzung, die wir erleben, als der Ausschuss-Vorsitzende Ulrich Luckner (CDU) die Sitzung Punkt 16:30 Uhr eröffnet.
Punkt 1 auf der Agenda: die Vergabe der wertvollen Grundstücke am Rampenloch. Luckner nordet die Ausschussmitglieder gleich zu Beginn gründlich ein: Er wolle die Sitzung kurz und schmerzlos machen. „Redebeiträge maximal fünf Minuten. Nach fünf Minuten unterbreche ich das rigoros. Wir wollen zügig hier rauskommen.“
Begründet wird das mit Corona. Und so muss die Pandemie wieder mal herhalten, damit bloß keine qualitative Diskussion aufkommt über das Rampenloch: Wie das Areal Sinn stiften könnte für die gesamte Stadt, ob sich daraus nicht mehr machen ließe und ob der bislang eingeschlagene Weg überhaupt der richtige war.
Zwei Jahre läuft das Prozedere schon. In all der Zeit hat man eine inhaltliche Diskussion ums Rampenloch in der Öffentlichkeit stets vermeiden können. Das soll sich jetzt, kurz bevor man den Sack endlich zumacht, nicht mehr ändern.
Luckners Botschaft ist bei den Ausschussmitgliedern angekommen, wie sich später zeigen wird – außer bei zwei aufmüpfigen Neuen, die noch nicht im Mindener Klüngelklub versunken sind.
Das Wort hat der Baubeigeordnete der Stadt Minden, Lars Bursian. Er führt ein ins Thema und die Sitzungsdrucksache 265/2020: Ende von Phase Zwei im Interessenbekundungsverfahren Rampenloch und Anhandgabe der Grundstücke an einen privaten Investor.
Bursian findet lobende Worte für den von der Verwaltung präferierten Entwurf der Firma Bautec mit Architektin Bettina Lauer, den er als „sehr, sehr smart“ bezeichnet.
Er findet Worte auch zum Thema Kaufpreis, das vor einigen Tagen sogar mal durch die Presse geisterte. Und er betont, dass die von Bautec gebotene Kaufsumme von 200.000 Euro für das mit 688.000 Euro bewertete Grundstück noch nicht in Stein gemeißelt sei: „Das war jetzt eine erste Zahl, die da reingeschrieben wurde. Ich glaube, die ist noch nicht endgültig. „
Da hat der Mann sogar mal recht: Der Kaufpreis kann durchaus noch deutlich unter die 200.000-Marke sinken. Denn das Kaufpreisangebot der Firma Bautec ist, wie in der Sitzungsdrucksache sichtbar, ausdrücklich als „unverbindlich“ gekennzeichnet.
Ohnehin gilt in der Welt eines Lars Bursian: „Eins ist klar, man kann nicht auf der einen Seite eine möglichst gute städtebauliche Konzeption, Innenstadt-, Altstadtentwicklung betreiben wollen – und auf der anderen Seite einen hohen Kaufpreis erzielen wollen. Beides lässt sich einfach nicht miteinander vereinbaren.“ Erschütternder Original-Wortlaut von jemandem, der es am Rampenloch nicht mal ansatzweise versucht hat – obwohl die Möglichkeiten da gewesen wären.
Wofür der Baubeigeordnete dagegen gar keine Worte findet, ist das, wofür er noch nie Worte hatte in all den Jahren, in denen er das Projekt begleitet: das historische Narrativ des Rampenlochs.
Dass Ernst-Michael von Schwichow und der Staat Preußen an diesem Ort Anfang des 19. Jahrhunderts Geschichte geschrieben haben. Dass Minden als Stadt damals innovativ und führend war in Sachen staatlicher Gesundheitskontrolle zur Seuchenbekämpfung. Dass hier ein Vorläufer heutiger Pandemie-Bekämpfung stattgefunden hat. Und dass es genau jetzt die einmalige historische Chance gegeben hätte, dieses Narrativ in der Entwicklung des Areals abzubilden.
Stattdessen: „Wir bitten darum, uns zuzustimmen, der Firma Bautec das Grundstück anhandzugeben, und der Bewertung, die wir gemacht haben, zuzustimmen.“
Frank Dunklau (AfD) ist das erste Ausschussmitglied, das sich nach Bursians Vortrag zu Wort meldet. Er ist neu im Mindener Stadtrat. Und stellt den Antrag, die anstehende Entscheidung um drei Monate zu verschieben.
Begründung: „Ich arbeite mich gerade ein und mir stellen sich unerklärlich viele Fragen. Für mich hat das ganze hier auch ein Geschmäckle, das sage ich ganz ehrlich. “ Damit meint er offenbar, dass die Architektin der Firma Bautec SPD-Mitglied ist und für ihre Partei selbst im Stadtrat sitzt. „Wir reden hier über eine halbe Million, die verschwendet wird in meinen Augen. Und das muss geklärt werden – und zwar vorher.“
Das lässt ein Peter Kock (SPD), der sonst für gewöhnlich stets der Erste in Sitzungen ist, der das Wort erhebt, nicht auf sich sitzen. „Eine Verschiebung, wie jetzt beantragt, halten wir“ – dabei wendet er den Kopf nach hinten und schaut eindringlich zu seinen Kollegen – „nicht für sinnvoll.“
Denn der vorliegende Vorschlag seiner Genossin „entspricht genau dem, was die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger der Altstadt in vielen Diskussionen zum Ausdruck gebracht haben. Das ist genau das, was gewollt ist.“ Und: „Darüber können wir doch nur froh sein statt herumzumäkeln.“ Damit signalisiert er für seine Fraktion volle Zustimmung zum Vorschlag der Verwaltung.
Da mag die CDU, die in Minden schon lange versucht noch mehr SPD zu sein als die SPD selbst, nicht hintanstehen. Für seine Fraktion erklärt Hendrik Mucke brav: „Die CDU folgt der Argumentation und dem Vorschlag der Verwaltung.“
Vielleicht weil man ahnt, dass bei nächster Gelegenheit die Zustimmung der SPD gebraucht wird, wenn ein CDU-Günstling städtische Förderung bekommen soll? Ernstzunehmende Oppositionsarbeit jedenfalls geht anders.
Es folgt der Stadtverordnete Horst Idelberger (Bündnis 90 / Grüne), der das hohe Debattenniveau vorführt, das in seinen Kreisen offenbar gepflegt wird. Statt sich zur Sache zu äußern lediglich eine Zurechtweisung in Richtung Frank Dunklau und dessen Partei.
Die befinde sich schon länger im Rat, insofern sei Zeit genug gewesen, sich einzuarbeiten. „Deshalb ist diesem Antrag, meines Erachtens, nicht nachzugeben.“ Zum Entwurf für das Rampenloch und zum Verfahren selbst: kein Wort.
Jürgen Gebauer (Mindener Initiative) hat nur eine Anmerkung zum Thema Parken. „Es ist Wunschdenken, dass die Leute hier zu Fuß unterwegs sind oder mit dem Fahrrad fahren. Hier sollte man den Anliegern sagen, wo sie ihre Fahrzeuge parken können.“ Hier spricht die ewiggestrige Autolobby, die schon früher unsere Städte autogerecht und kaputt gemacht hat. Darüber hinaus hat der Mann keine Fragen zur Sache.
Der fraktionslose Eckhard Rüter, als sachkundiger Bürger für den Integrationsrat im Ausschuss, formuliert pflichtschuldigst Appelle zur Barrierefreiheit des Areals. Mehr nicht.
Rolf Frohne (Bündnis 90 / Grüne) weist als sachkundiger Bürger auf Risiken hin, die sich im nächsten Planungsschritt aus der HOAI, der Honorarordnung der Architekten und Ingenieure, für die Stadt ergeben könnten. Guter Hinweis!
Und zum Schluss Gesine Frank (Die Linke), die zweite neue Stimme in dieser Runde, die noch nicht zum Klüngelklub gehört und sich explizit gegen das Verfahren ausspricht. Als sachkundige Bürgerin ist sie aber ebenfalls nur beratend im Ausschuss.
Sie lässt keinen Zweifel daran: „Wären wir stimmberechtigt, könnten wir keinem der beiden vorliegenden Vorschläge folgen.“ Begründung: Hier würde mit Unterstützung aus öffentlichen Geldern teurer Wohnraum entstehen. Gut aufgepasst!
„Ein Mietpreis von zehn bis elf Euro ist für gewöhnliche Studierende, Verkäuferinnen und Angestellte nicht bezahlbar.“ Vollkommen richtig. Und übrigens: Niemand verspricht, dass die Quadratmeterpreise am Ende nicht sogar noch deutlich höher liegen werden als zehn bis elf Euro.
Der Ausschussvorsitzende Luckner unterbricht die Sitzung, damit der als Gast anwesende Stadtverordnete Thorsten Vogt (Wir für Minden) zu Wort kommen kann.
Er weist auf einen Konstruktionsfehler des Verfahrens hin, nämlich dass der verbindliche Kaufpreis erst am Ende des gesamten Verfahrens verbindlich festgezurrt werden soll – dann, wenn alles vorbereitet ist, das Areal geräumt, die Planung im Detail steht und alles fix und fertig in trockenen Tüchern ist.
Erst dann den letztendlichen Kaufpreis zu vereinbaren, hält er für falsch, weil die Stadt sich in dieser Situation dem Risiko aussetzen würde, „erpressbar“ zu werden. Denn zu diesem Zeitpunkt gibt es eigentlich kein Zurück mehr – jedenfalls kein realistisches, sondern höchstens ein theoretisches.
Luckner nimmt die Sitzung wieder auf. Bursian spielt die Einwände Vogts runter: Man werde sich da vertrauensvoll Zug um Zug annähern.
Und das war’s dann. Keine weiteren Fragen. Ende der Diskussion. Für die Ausschussmitglieder sind damit alle wichtigen Aspekte besprochen.
Ein bisschen Kopfsteinpflaster, ein bisschen Barrierefreiheit, ein bisschen Parkplätze – das sind die ganz großen Themen der Ausschussmitglieder. Das ist die geistige Flughöhe der sogenannten bürgerlichen Parteien, ganz gleich, welche Buchstaben vorne dranpappen.
Zeit für die Abstimmung. Und die fällt so aus, wie es die Spatzen schon von den Dächern pfiffen.
Der Antrag auf ein Verschieben der Entscheidung wird bei einer Ja-Stimme, ohne jede Enthaltung und mit allen übrigen Stimmen vom Tisch gewischt. Abgelehnt.
Das gleiche Bild, nur eben invertiert, bei der Entscheidung über den Vorschlag der Verwaltung, das Rampenloch der Firma Bautec anhandzugeben für den dritten Verfahrensschritt: mit überwältigender Mehrheit angenommen bei einer Nein-Stimme, ohne jede Enthaltung und allen übrigen Ja-Stimmen.
Damit sind die Würfel am Rampenloch gefallen. Niemand ist überrascht. Business as usual. Durchwinken und gut. Von echter Kontroverse keine Spur. Von Visionskraft noch weniger.
Keine zwanzig Minuten hat es gedauert, bis eines der zentralen städtischen Entwicklungsprojekte Mindens von den Stadtverordneten abgehakt wurde – bei allen Ungereimtheiten, Auffälligkeiten und ungenutzten Chancen.
Auf ihre wackeren Stadtsoldaten kann sich Mindens Stadtverwaltung eben verlassen.
Ich lache mich schlapp, ein wirtschaftliches- und zukunftsorientiertes ökologisch vertretbares Konzept kann nur unter der Einbeziehung der angrenzenden Nachbargrundstücke Ecke Königswall / Greisenbruchstraße entstehen. Mit wieviel Geld pro verbauten Kubikmeter will man denn ein paar lächerlich kleine lichtlose Wohnungen in einer Sackgasse, direkt an dem verkehrsreichen Königswall erstellen ? Die Wohnungen in den großen Wohnblöcken an den angrenzenden Straßen sind fast alle vom Wohnniveau in dem unteren Drittel einzuordnen. Ein großer Teil der Mieter sind auf Sozialleistungen der Stadt angewiesen und dann will man im Rampenloch ein paar luxuriöse Studentenbuden bauen wo die Stadt schon im Vorfeld rund eine Million Euro in die Tonne gehauen hat und nun noch im Parteienklüngel verramscht. Zu erwarten ist das sich für die Kaufabwicklung und der Geschenkannahme eine extra GmbH gegründet wird die dann spätestens nach Baubeginn in die Pleite gewirtschaftet wird und dann die öffentliche Hand unter Vollzugszwang setzt um dann noch was zu retten was zu retten ist, wobei sich dann wieder etliche aus dem Parteienklüngel gesundstoßen werden. Als Beispiel sehe man hier die bundesweiten Großprojekte wie BER oder Stuttgarter Bahnhof usw. Auf jeden Fall bleibt es ein Unterhaltungsknaller für die kleine Stadt Minden wo sonst nicht viel los ist.
Aktuell verstehe ich die Gedankengänge der Stadt Minden nicht. Da will man auf dem Areal des ehemaligen Rampenlochs bezahlbaren Wohnraum schaffen weil es angeblich nicht zu wenig bezahlbaren Wohnraum gibt.
Ist es aber nicht so das zur Zeit ca. 70 Wohnungen in Minden von der Stadt Minden angemietet sind welche dem Steuerzahler pro Jahr ca. 700000 € kosten? Die Anmietung der Wohnungen war seinerzeit vor einigen Jahre durchaus gerechtfertigt um hier in Minden ankommenden Flüchtlingsfamilien einen Wohnraum abseits des Containers zu ermöglichen und ihnen eine menschenwürdige Unterkunft zu bieten. Ich selber hätte zur Not einer Flüchtlingsfamilie Unterkunft gegeben. Aber aktuell ist der Flüchtlingsstrom abgebrochen daher bin ich der Meinung das es reichen würde, diese leerstehenden Wohnungen um 60 % auf ca.28 zu reduzieren da sich auch der Anteil der Zuwanderer reduziert hat. Der Rest der Wohnungen sollte durchaus in der Verwaltung der Stadt bleiben aber könnte 42 Familien die Chance geben bezahlbaren Wohnraum zu bekommen. Gleichzeitig würde die Stadt Geld einnehmen statt es auszugeben. Hier hätte ich mir schon längst gewünscht dass die Stadt mit den Wohnungseigentümer die Verhandlungen aufgenommen hätten. 42 Wohnungen sind durchaus mehr als das Rampenloch an Wohnraum hergibt wenn es nach den Plänen der Firma Bautec fertiggestellt wurde.