Die Berater waren in der Stadt – und niemand rief: Der Kaiser ist ja nackt!

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Autor Edgar Wilkening

von | 1. Feb., 2023

Gründer und Initiator von Das Herz der Stadt. Seit Jahrzehnten tätig als Marken- und Strategieberater für Blue Chips, Small Caps, KMUs und Organisationen.


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„Vor vielen Jahren lebte ein Kaiser, der so ungeheuer viel auf neue Kleider hielt, dass er all sein Geld dafür ausgab, um recht geputzt zu sein.“

Aus: Des Kaisers neue Kleider, Hans Christian Andersen (1805 – 1875)

Im Rathaus brauchte man gute Nachrichten. Erstens, damit man als Provinzstadt nicht ganz so provinziell aussah, und zweitens, als Stadtobere nicht ganz so grottendoof dastand. Denn: Was hatte man nicht alles vermurkst in letzter Zeit …

Die Idee für eine großspurig überdimensionierte Multihalle: ad acta gelegt, nachdem man zuvor jahrelang Hunderttausende in freundliche Gutachten und freundschaftlichem Geklüngel versenkt und sich selbst für die Genialität des Plans bejubelt hatte.

Wertvolle Grundstücke eines ehemaligen Rotlichtquartiers hatte man geradezu verschenkt: einem renditegierigen Investor für einen Bruchteil dessen gegeben, was man selbst mal dafür gezahlt hatte.

Eigene Bauprojekte der Stadt liefen finanziell und zeitlich aus dem Ruder dank heillos überforderter Steuerleute. Einem der Haupttäter hatte man als freundschaftlichen Dank eine fünfstellige beamtliche Besoldungserhöhung pro Jahr zugeschanzt.

Es wurde eben verschludert, was nur zu verschludern ging. Selbst der regierungstreuen Monopolpresse fiel es zusehends schwerer, den konzertierten Murks jede Woche wieder hochzujubeln.

„Eines Tages kamen auch zwei Fremde, die gaben sich für Weber aus und sagten, dass sie das schönste Tuch zu weben verstünden, das man sich denken könne.“

Aus: Des Kaisers neue Kleider, Hans Christian Andersen (1805 – 1875)

Im Rathaus brauchte man also dringend gute Nachrichten. Deshalb winkte man mit Schecks. Fünfstellige, sechsstellige Summen. Alles, was lichtscheues Gesindel anzieht, das die öffentliche Hand als wohlfeilen Selbstbedienungsladen sieht.

Kaum machte die Kunde ihre Runde, da waren auch schon Berater aus allen Himmelsrichtungen auf dem Weg, um den Stadtoberen zu liefern, was sie wünschten.

„‚Dieses Tuch muss sogleich für mich gewebt werden‘, dachte der Kaiser. Und er gab den beiden Betrügern viel Gold und Geld, damit sie ihre Arbeit beginnen möchten.“

Aus: Des Kaisers neue Kleider, Hans Christian Andersen (1805 – 1875)

Die einen kamen tief aus dem Westen und webten eine „Neuaufstellung des Einzelhandelskonzeptes“. In dem Gutachten kriegten sich die Berater kaum wieder ein, wie grandios es liefe in der Stadt und wie klug die Stadtoberen doch stets entschieden hätten.

Über den Klee gelobt wurde das „Hauptzentrum Innenstadt“,  von dessen Gesamteindruck die Berater vollmundig schwärmten, es sei von „hoher Attraktivität“, beim Einzelhandelsangebot genauso wie bei den Gebäuden und dem öffentlichen Raum, der guten Verkehrsanbindung und der praktisch nicht spürbaren Leerstandssituation. Wenn das keine guten Nachrichten waren!

Die Stadtoberen hörten es nur zu gerne – ohne auch nur den geringsten Anflug von Schamesröte zu zeigen.

„‚Dieses Muster, diese Farben! Ja, ich werde dem Kaiser sagen, dass es mir sehr gefällt‘, antwortete der Minister.

‚Nun, das freut uns‘, sagten die Weber, und darauf nannten sie die Farben mit Namen und erklärten das Muster.

Der Minister aber passte gut auf, damit er dasselbe sagen könnte, wenn er zum Kaiser zurückkäme.“

Aus: Des Kaisers neue Kleider, Hans Christian Andersen (1805 – 1875)

Das bekamen Berater aus dem Osten mit und sie machten sich ebenfalls auf den Weg. Ihr Geheiß: Ein Bürger-Treffen im Hotel am Marktplatze, bei dem es nur so sprühen sollte vor Erfolg und Optimismus für die Innenstadt.

Und siehe da, was hatten sie für überwältigende Neuigkeiten und bahnbrechende Insights dabei, die sie kunstvoll verwoben hatten: dass die Innenstadt aufgeräumt und sauber sein müsse, damit sie für Besucher attraktiv sei; dass sie Grünflächen und Sitzgelegenheiten bieten müsse; dazu Bäckereien und Cafés; dass es öffentliche Toiletten geben müsse.

Die Stadtoberen waren sehr bewegt von den Worten. Derart tiefschürfende Erkenntnisse und Analysen hatten sie nie zuvor gehört.

Und so einleuchtend alles! Keiner, der mit komplizierten Themen wie Benchmarking, Relevanz und Brand Credibility nervte oder über krudes Zeug wie Strategieentwicklung, Glaubwürdigkeit und Inhalte palaverte.

Sondern schlichte Worte von Sauberkeit und Sitzgelegenheit, die jedem Stadtoberen verständlich waren.

„‚Sitzt es nicht gut?‘, fragte der Kaiser und dann wendete er sich nochmals zum Spiegel, denn es sollte so scheinen, als ob er seine Kleider recht ausführlich betrachtete.“

Aus: Des Kaisers neue Kleider, Hans Christian Andersen (1805 – 1875)

Sie nickten sich gegenseitig zu und klopften sich auf die Schultern: Sie waren die Klügsten des Städtchens und auf dem klügsten denkbaren Weg zu einer attraktiven, begehrenswerten Innenstadt.

Das konnte man auch den Bürgern erzählen, wenn mal wieder Wahlen vor der Tür stehen sollten. Die Berater waren jeden Cent wert.

Sie waren so glücklich, die Stadtoberen, dass sie sich nicht nur mit üppigen Schecks, sondern auch mit der Aussicht auf viele weitere, großzügige Beauftragungen bedankten.

„So ging der Kaiser durch die Straßen. ‚Gott, wie sind des Kaisers neue Kleider unvergleichlich! Welch wunderbare Schleppe! Wie schön das sitzt!‘, sprachen die Menschen.

‚Aber er hat ja nichts an‘, sagte endlich ein kleines Kind.“

Aus: Des Kaisers neue Kleider, Hans Christian Andersen (1805 – 1875)

Und wenn sie nicht gestorben sind, oder wenigstens in einem ordentlichen demokratischen Verfahren aus den Ämtern verjagt wurden, dann lügen sie sich auch noch morgen was in die Taschen.

Und die Berater aus Ost und West, aus Nord und Süd, die keinen einzigen Faden auf dem Webstuhl haben, geben sich weiter die Klinke in die Hand im Rathaus.

„Und die Kammerherren gingen noch straffer und trugen die Schleppe noch höher, die gar nicht da war.“

Aus: Des Kaisers neue Kleider, Hans Christian Andersen (1805 – 1875)

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