„Echte Fotos“ in der Lokalpresse? Was sind denn „echte Fotos“?

Autor: Edgar Wilkening
War seit Mitte der 1990er Mitglied im DJV Deutscher Journalisten-Verband, Landesverband Hamburg. Hat für Medienhäuser wie Gruner + Jahr, Axel Springer, Deutschlandfunk, NDR etc. gearbeitet.
Als er erlebte, wie in der Provinz Lokaljournalismus gemacht wird, hat er den DJV nach mehr als 25 Jahren aus eigenem Antrieb verlassen, weil er mit derartigen Gestalten nicht in einem Berufsverband gesehen werden will.
Die Lokalzeitung „Mindener Tageblatt“ behauptet, in ihrer Ausgabe am 22. Mai 2025 erstmals ein Bild veröffentlicht zu haben, das vollständig von einer KI generiert wurde.
Diese Premiere war der frisch gekürten Chefredakteurin des Blattes, Nina Könemann, sogar einen Kommentar wert: auf Seite 2 in der Rubrik „Durchgeblättert“.
In ihrem Text spricht die Chefredakteurin von „Tools wie ChatGPT oder Adobe“. Das ist natürlich der übliche Journalisten-Blödsinn, wie man ihn jeden Tag in schlampig zusammengeschusterten Blättchen mit „kostenoptimiertem“ Journalismus findet.
„Adobe“ ist selbstredend kein Tool. Sondern ein US-amerikanisches Software-Unternehmen, das Tools herstellt und anbietet. Hätte man wissen können; hätte man recherchieren können, wenn man gewollt hätte.
Das KI-Tool von Adobe, das die Chefredakteurin mutmaßlich meinte, trägt den Namen „Firefly“. (Und ist wiederum integriert in Software-Anwendungen wie „PhotoShop“, „Premiere“, „Illustrator“, „InDesign“ und, und, und.)
Vergleichbar zu „Langnese“, was natürlich kein Eis, sondern ein Hersteller von Eis ist. Oder „ChatGPT“, das ein KI-Tool des US-amerikanischen Software-Unternehmens „OpenAI“ ist. Durchschnittlich lebenserfahrene Menschen wissen so etwas, ohne sich deshalb gleich „Journalist“ zu nennen.
Na, geschenkt!
Wenn man auf derart schlampigen Fehlleistungen rumreiten wollte, hätte man viel zu tun.
Viel interessanter ist eine andere Aussage der Chefredakteurin Könemann, bei der sie sich zu der steilen These versteigt: „Wo immer möglich werden wir echte Fotos machen.“
Stellt sich die Frage: Was soll das sein – „echte Fotos“? Und was genau sind dann unechte Fotos?
Nehmen wir mal ein Beispiel: Angenommen, eine Journalistin macht mit ihrem chicen, neuen Smartphone Fotos, die am Tag darauf in der Tageszeitung erscheinen. Handelt es sich dann um „echte Fotos“? Oder sind das dann schon unechte Fotos?
Immerhin wurden die Fotos nicht auf Film belichtet. Und durchschnittlich lebenserfahrene Menschen wissen, dass moderne Smartphones jedes Bild per interner Software, in der Regel KI-gestützt, automatisch verbessern.
Werden wir im Blättle von Chefredakteurin Könemann künftig also keine mit dem Smartphone geknipsten Fotos mehr sehen, weil es ja keine „echten Fotos“ sind?
Drehen wir die Geschichte einen Twist weiter! Auch wieder rein theoretischer Fall: Angenommen, eine Journalistin macht in einer Tiefgarage Fotos eines verbrauchten Coffee-to-go-Bechers, den sie höchstpersönlich und eigenhändig in die Tiefgarage getragen und gammelig auf dem Boden inszeniert hat.
Wenn genau dieses Foto am folgenden Tag in der Tageszeitung erscheint: Ist das nach Lex Könemann noch ein „echtes Foto“, das den Qualitätskriterien ihrer Zeitung entspricht? Oder doch eher ein unechtes, weil vom Journalisten absichtlich inszeniertes Bild, das dem Betrachter Müll vorgaukelt, wo vorher gar keiner war?
Und noch einen Twist weiter – jetzt aber wirklich super-mega-theoretisch! Was wäre, wenn genau diese Journalistin keine zwei Wochen später aus Dank für ihren „kostenoptimierten“ Inszenierungs-Journalismus zur Chefredakteurin ernannt werden würde? Wäre das echt? Wäre das tragbar? Oder würden die Leser dann reihenweise ihre Abos kündigen – aus Protest, echt belogen worden zu sein?
Alles rein hypothetisch, natürlich! Aber es zeigt: Zwischen „echten Fotos“, wie Könemann sie versteht, und unechten Fotos zu unterscheiden, ist nicht nur eine Frage, ob bei der Erstellung „unechte“ KI eingesetzt wurde oder doch noch „echte“ Silberplatten belichtet wurden.
Gott sei Dank haben viele Zeitungen ja sogenannte „redaktionelle Leitlinien“, die die allergröbsten Auswüchse journalistischer Verfehlungen verhindern sollen – auch wenn sie meist nur rausgekramt werden, wenn’s darum geht, den Lesern die nächsten Preiserhöhungen zu begründen.
Auch das Mindener Tageblatt will jetzt seine Leitlinien im Hinblick auf KI-generierte Bilder schärfen, verheißt Chefredakteurin Könemann in ihrem Kommentar.
Freuen wir uns also! Freuen wir uns über die unfassbar großen Bemühungen um immer höhere journalistische Standards im Qualitätsjournalismus. Und auf ganz, ganz viele echt echte „echte Fotos“.
Bei mancher Tageszeitung wäre womöglich schon viel gewonnen, wenn sie ihre bestehenden Leitlinien halbwegs beachten und gelegentlich einhalten würden. ♥